Erzählungen
Beide nicht aus den Augen.
Eines Tages auf der Treille bemerkte Gérande, wie das kleine Ungeheuer sie lachend ansah, und drängte sich ängstlich erschrocken dichter an den Vater.
»Was ist Dir, meine Gérande? fragte dieser.
– Ich weiß nicht, antwortete das junge Mädchen.
– Ich finde Dich verändert, mein Kind, setzte der alte Uhrmacher hinzu, willst Du mir jetzt etwa krank werden? Nun, wenn solch Unglück über uns hereinbrechen sollte, würde ich Dich pflegen müssen; ja, ich würde Dich treulich pflegen, meine Gérande.
– Ach, lieber Vater, es ist nichts, aber mich fröstelt, und ich glaube, es ist…
– Nun, was ist’s, Gérande?
– Jener Mensch dort ängstigt mich, antwortete sie leise; er geht fortwährend hinter uns her.«
Meister Zacharius wandte sich nach dem Kleinen um.
»Er geht wahrhaftig richtig, sagte er mit einer Miene innerer Befriedigung, es ist genau vier Uhr. Fürchte nichts, liebe Tochter; das ist kein Mensch, sondern eine Uhr!«
Gérande sah ihren Vater erschrocken an; wie hatte Meister Zacharius auf dem Gesicht dieses wunderlichen Geschöpfs die Stunde ablesen können?
»
A propos
, fuhr der alte Uhrmacher fort, ohne diesem Zwischenfall weiter nachzuhängen, ich habe seit mehreren Tagen Aubert nicht gesehen.
– Er hat uns nicht verlassen, lieber Vater, antwortete Gérande, deren Gedanken mit diesem Gespräch eine freundlichere Richtung nahmen.
– Was macht er denn?
– Er arbeitet, lieber Vater.
– Ah so! rief der Greis, er arbeitet an den Uhren, um sie wieder in Gang zu bringen. Es wird ihm nie und nimmer gelingen, Gérande; denn sie warten nicht auf eine Ausbesserung, sondern auf ihre Auferstehung.«
Gérande wußte hierauf nichts zu antworten und verharrte im Schweigen.
»Ich muß durchaus wissen, ob noch mehr von den verwünschten Uhren, unter die der Teufel die Pest gebracht hat, zu mir zurückgebracht sind.«
Nach diesen Worten schwieg auch Meister Zacharius, bis er die Thüre seiner Wohnung erreicht hatte, und zum ersten Mal seit seiner Genesung stieg er nun in die Werkstätte hinunter, während Gérande sich traurig auf ihr Zimmer begab.
In demselben Augenblick, als der alte Mann die Thüre der Werkstätte hinter sich schloß, begann eine der Uhren, die rings an den Wänden hingen, fünf zu schlagen. Früher ließen sich all diese so verschiedenartig regulirten Schlagwerke zusammen hören, und Meister Zacharius hatte stets seine Freude daran gehabt; heute aber ertönte immer ein Glöckchen nach dem andern, so daß das Hämmern und Klingen eine volle Viertelstunde dauerte. Der alte Meister litt schrecklich darunter; er konnte es nicht auf seinem Platze ertragen, sondern stand auf und trat an die einzelnen Uhren heran, indem er ihnen, wie ein Musikdirector, den Tact angab.
Als der letzte Klang verhallt war, öffnete sich die Thüre, und der kleine, greisenhafte Mann trat ein; er sah den Uhrmacher mit starrem Blick an. Es durchschauerte Meister Zacharius unwillkürlich vom Scheitel bis zur Sohle.
»Kann ich mich ein paar Minuten mit Ihnen unterhalten, Meister? fragte der Kleine.
– Wer sind Sie? forschte der Alte barsch.
– Ein Zunftgenosse; ich bin beauftragt, die Sonne zu reguliren.
– Ah! Sie reguliren also die Sonne? rief lebhaft Meister Zacharius, ohne eine Miene zu verziehen. Nun, da lassen Sie sich sagen, daß Sie Ihre Sache herzlich schlecht machen; die Sonne geht durchaus nicht genau, und wenn unsere Uhren mit ihr in Uebereinstimmung sein sollen, müssen wir sie bald vor-und bald zurückstellen.
– Sie haben Recht, Meister; beim Pferdefuß des Teufels, Sie haben Recht! Meine Sonne zeigt nicht im nämlichen Augenblick wie Ihre Uhren die zwölfte Stunde. Es wird aber die Zeit kommen, wo man erfährt, daß das von der Ungleichmäßigkeit der Erdbewegung herrührt, und wo man eine durchschnittliche Mittagszeit erfinden wird, die diese Unregelmäßigkeit beseitigt.
– Werde ich das noch erleben? fragte der alte Uhrmacher, und seine Augen blickten in lebhafterem Glanze.
– Natürlich! versetzte der Kleine lachend; glauben Sie denn, daß Sie jemals sterben werden?
– Ich bin jetzt sehr krank und elend!
– Nun ja, lassen Sie uns ein wenig darüber plaudern. Beim Beelzebub, ich glaube, wir werden dabei ein Thema berühren, über das ich mit Ihnen sprechen möchte.«
Und bei diesen Worten sprang das seltsame kleine Geschöpf ohne Weiters auf den Ledersessel des Alten und schlug seine Beine übereinander, wie die Maler von Leichenbehängen
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