Erzählungen
fühlte sie, wie ihr das Blut zum Herzen strömte; sie stützte sich auf den Arm des Gehilfen und sagte:
»Mein Vater ist sehr krank, Aubert! Sie allein können ihn heilen, denn diese Art des Seelenleidens kann nicht den Tröstungen einer Tochter weichen. So viel ich sehen kann, ist sein Geist in Folge eines natürlichen Vorganges befangen, und nur wenn Sie dazu helfen, daß die Uhren wieder in Gang kommen, wird er wieder gesund und klaren Geistes werden. – Ach, Aubert! es ist doch nicht wahr, daß sein Leben mit dem Gangwerk seiner Uhren zusammenhängt?« fügte sie, noch im Eindruck des soeben Erlebten, schaudernd hinzu.
Aubert antwortete nicht.
»Aber dann könnte ja das Gewerbe meines Vaters dem Himmel nicht wohlgefällig sein?
– Ich weiß nicht, antwortete der Gehilfe, indem er die eisigkalten Hände des jungen Mädchens in den seinen erwärmte; jetzt aber müssen Sie in Ihr Zimmer zurückkehren, meine arme Gérande, geben Sie sich der Ruhe und auch der Hoffnung hin.«
Gérande ging langsam auf ihr Zimmer zurück und blieb dort bis zum folgenden Tage, jedoch ohne daß sich der Schlaf auf ihre müden Augenlider senken wollte, während Meister Zacharius unbeweglich und stumm in die unter seinen Füßen dahinrauschende Fluth starrte.
Fußnoten
1 Wege, die allein gehen.
2 Leuchtes Fahrzeug mit Segeln und Rudern.
Zweites Capitel.
Der Stolz der Wissenschaft.
Die Reellität des Genfer Kaufmanns ist sprichwörtlich geworden; er zeichnet sich durch die strengste Rechtlichkeit und eine ganz außerordentliche Geradheit aus. Welcher schamvolle Zorn mußte also Meister Zacharius übermannen, als er erlebte, wie seine mit so großer Sorgfalt zusammengesetzten Uhren ihm von allen Seiten zurückgebracht wurden.
Er konnte keinen Augenblick daran zweifeln, daß sämmtliche Uhren plötzlich und ohne einen zu Tage liegenden Grund stehen geblieben waren. Das Räderwerk befand sich noch in gutem Zustande und vollständig in Ordnung, aber die Federn hatten ihre Elasticität verloren, und der Uhrmacher suchte vergeblich sie zu ersetzen – die Räder blieben unbeweglich. Diese unerklärlichen Störungen beunruhigten Meister Zacharius im höchsten Grade. Seine ingenieusen Erfindungen hatten ihn zuweilen in den Verdacht der Zauberei gebracht, und dieser erhielt durch solche unerklärlichen Vorgänge nur noch mehr Nahrung. Ja, das Gerücht drang sogar bis zu Gérande, die für ihren Vater zitterte, sowie übel wollende Blicke sich auf ihn richteten.
Es schien jedoch, als ob Meister Zacharius sich nach der beschriebenen, angstvollen Nacht wieder mit mehr Selbstvertrauen an die Arbeit gemacht hätte; die Morgensonne belebte von Neuem seinen Muth. Aubert gesellte sich ihm alsbald in der Werkstätte zu und erhielt bei seinem Eintritt wie gewöhnlich einen leutseligen Morgengruß.
»Es geht wieder besser mit mir, hub der alte Uhrmacher an; ich weiß nicht, was für ein sonderbarer Kopfschmerz mich gestern quälte, aber heute hat die Sonne ihn mit den Wolken der Nacht davongejagt.
– Wahrhaftig, Meister, ich liebe die Nacht nicht, weder für Sie noch für mich, meinte Aubert.
– Und Du hast Recht, Aubert. Wenn Du einmal berühmt werden solltest, wirst Du begreifen, daß das Licht Dir nothwendig ist wie die Nahrung des Leibes. Ein Gelehrter braucht Anerkennung und Huldigung von seinen Mitmenschen, um Großes zu leisten.
– Meister, jetzt erfaßt Sie wieder der Hochmuthsteufel.
– Der Hochmuth, Aubert! Zerstöre meine Vergangenheit, vernichte meine Gegenwart, nimm mir die Hoffnung auf meine Zukunft, und es wird mir vergönnt sein, in Unbedeutendheit meine Tage hinzubringen. Armer Junge, der Du nichts von den erhabenen Dingen begreifst, mit denen meine Kunst mich enge verknüpft! Bist Du denn nichts weiter, als ein Werkzeug in meinen Händen?
– Sie müssen mir doch zugestehen, Meister Zacharius, daß ich oftmals Ihre Zufriedenheit errungen habe, wenn es mir gelang, die subtilsten Theilchen Ihrer Taschen-und Wanduhren zu adjustiren!
– Gewiß, Aubert, Du bist ein tüchtiger Arbeiter, und ich halte Dich lieb und werth; aber wenn Du arbeitest, hast Du Kupfer, Gold oder Silber in Deinen Händen und fühlst nicht in diesen Metallen den Geist, der für mich in ihnen pulsirt. Auch würdest Du wohl schwerlich an dem Tode Deiner Werke sterben.«
Meister Zacharius schwieg, nachdem er dies gesagt hatte, aber Aubert suchte die Unterhaltung von Neuem anzuknüpfen.
»Ich sehe Ihnen gar zu gern zu, wenn Sie so rastlos arbeiten,
Weitere Kostenlose Bücher