Erzählungen
Ah so! meinte der Bretagner mit eigenthümlichem Blinzeln.
– Seine Rathschläge werden uns von großem Nutzen sein, hoffe ich, fügte Cornbutte hinzu; er ist kühn und sehr geschickt.
– Nun, Sie selbst sind uns Allen im Wissen und Können voraus, Herr Kapitän, entgegnete Vasling.
– Also auf morgen, meine Freunde! Geht letzt an Bord und trefft die letzten Anordnungen. Auf Wiedersehen, André, auf Wiedersehen, Penellan.«
Obersteuermann und Matrose gingen mit einander fort, und Johann Cornbutte blieb mit Marie allein zurück. An diesem Abend floß noch manche Thräne bitteren Schmerzes, und Cornbutte, der seine Nichte so tief betrübt sah, faßte den Entschluß, das Haus am andern Morgen früh zu verlassen, ohne ihr etwas davon zu sagen, damit sie so über den Abschied hinaus käme. Er gab ihr noch am Abend den letzten Kuß und war um drei Uhr schon wieder auf den Beinen.
Zur Abfahrt der Jeune-Hardie waren alle Freunde des alten Seemanns auf dem Hafendamm versammelt; der Pfarrer, von dem Ludwig und Marie hatten getraut werden sollen, spendete dem Schiff einen letzten Segen, und manch rauher Händedruck wurde schweigend ausgetauscht, als Johann Cornbutte an Bord stieg.
Die Mannschaft war jetzt vollzählig; André Basling gab die letzten Befehle zur Abfahrt; die Segel wurden aufgehißt, und die Brigg entfernte sich schnell mit einer guten Nordwestbrise, während der Pfarrer, hoch aufgerichtet unter den knieenden Zuschauern stehend, Gottes Schutz auf die Seefahrer herab flehte.
Wohin geht das Schiff? Es verfolgt die gefährliche Straße, auf der so viele Schiffbrüchige zu Grunde gegangen sind, und muß auf alle Gefahren gefaßt sein, der Herr allein weiß, wo ihm sein Landungsplatz winkt. Es fährt keinem bestimmten Ziel entgegen; möge es alten Unfällen kühn die Stirn bieten, möge Gott es geleiten!
Drittes Capitel.
Ein Hoffnungsstrahl.
Die Jahreszeit war zu der unternommenen Expedition günstig, und so durfte die Mannschaft sich der Hoffnung hingeben, die Stätte des Schiffbruchs bald zu erreichen.
Johann Cornbutte’s Plan war der natürlichste und beste. Er gedachte bei den Faröer-Inseln anzulegen, wohin die Schiffbrüchigen leicht durch den Nordwind verschlagen sein konnten, und wenn er Gewißheit darüber bekam, daß sie in keinen Hafen dieser Breiten eingelaufen waren, wollte er seine Nachforschungen über die Nordsee hinaus ausdehnen und die ganze Westkliste Norwegens bis nach Bodoë, dem Ort, der dem Schiffbruch am nächsten lag, und wenn nöthig, noch darüber hinaus durchsuchen.
André Basling war dieser Ansicht des Kapitäns entgegen; er meinte, daß die Küsten Islands erforscht werden müßten; aber Penellan hob hervor, daß der Sturm zur Zeit der Katastrophe aus Westen gekommen wäre; wenn die Verunglückten also nicht in den Strudel des Maëlstroms gerissen wurden, so mußten sie an die norwegische Küste geschleudert sein.
So wurde beschlossen, daß man möglichst nahe an diesem Küstenstrich hinsegeln wolle, um etwaige Spuren des Weges zu recognosciren.
Am Morgen nach der Abfahrt hatte Johann Cornbutte das Haupt über eine Karte gebeugt, auf der er eifrig seine Fahrt studirte, als sich ihm plötzlich eine kleine Hand auf die Schulter legte und er eine sanfte Stimme vernahm, die ihm zuflüsterte:
»Habe guten Muth, lieber Onkel!«
Er wandte sich um und konnte vor Erstaunen kein Wort hervor bringen, Marie stand neben ihm!
»Marie! Du hier an Bord! rief er endlich.
– Wenn der Vater sich einschifft, um sein Kind zu retten, darf wohl die Frau ihren Gatten aufsuchen! antwortete sie.
– Arme Marie! wie wirst Du unsere Strapazen aushalten? Weißt Du, daß Deine Gegenwart unseren Forschungen hinderlich werden kann?
– Nein, lieber Onkel, ich bin ja stark und kräftig!
– Wer weiß, mein Kind, wohin wir verschlagen werden? Sieh diese Karte an; wir nähern uns jetzt den Breiten, die selbst uns Seeleuten, die doch gegen alle Strapazen des Meeres abgehärtet sind, so gefährlich werden können. Und nun Du, ein schwaches Mädchen!
– Lieber Onkel, habe keine Sorge um mich; ich stamme aus einer Seemannsfamilie und bin bei Erzählungen von Stürmen und Gefahren groß geworden. Bin ich doch hier bei Dir und meinem alten Freunde Penellan!
– Penellan! also er ist’s gewesen, der Dich an Bord geschmuggelt hat?
– Ja, Onkel; aber erst als er sah, daß ich entschlossen war, auch ohne seine Hilfe meinen Plan auszuführen.
– Penellan!« rief Johann Cornbutte.
Der Untersteuermann
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