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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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bekannt geworden, und wo der Zug vorüberkam, zeigten sich Köpfe in Nachthauben an den Fenstern und in den halbgeöffneten Thüren. Von allen Seiten winkte man Grüße und Glückwünsche.
    So kam der Hochzeitszug unter Lobsprüchen und Segnungen am Hafendamm an: das Wetter war prächtig geworden; es schien fast, als wolle sich die Sonne am Fest betheiligen. Ein schöner Nordwind schwellte die Wogen, und einige Fischerschaluppen, die alle Segel so dicht wie möglich beim Winde gestellt hatten, durchstreiften in rascher Fahrt das Meer zwischen den Hafendämmen.
    Der Kai des Hafens von Dünkirchen wird durch zwei Molen verlängert, die weit in’s Meer hinausreichen. Die fröhliche Schaar nahm die ganze Breite der nördlichen Mole ein und erreichte bald ein kleines Häuschen, das am Ende derselben lag und in dem der Hafenwächter wohnte.
    Die Brigg Johann Cornbutte’s war letzt mehr und mehr sichtbar geworden; der Wind machte sich frischer auf, und die Jeune-Hardie segelte schnell unter ihren Marssegeln, ihrem Fock-und Briggsegel und ihren Bram-und Oberbramsegeln vor dem Winde. Augenscheinlich herrschte an Bord ebensolche Freude wie an Land. Johann Cornbutte hatte ein langes Fernrohr in der Hand und antwortete munter auf die Fragen seiner Freunde.
    »Meine schöne Brigg! rief er; so hübsch und blank, als liefe sie eben aus dem Hafen von Dünkirchen aus! Keine Havarie! kein einziges Tau weniger!
    – Sehen Sie Ihren Sohn, den Kapitän? fragte man.
    – Nein, noch nicht. O, er hat natürlich jetzt viel zu thun!
    – Warum mag er seine Flagge nicht aufziehen? fragte Clerbaut.
    – Ich weiß nicht, mein alter Freund; er wird wohl seine Gründe dazu haben.
    – Bitte, gieb mir Dein Fernrohr, lieber Onkel, rief letzt Marie und nahm ihm das Instrument aus den Händen; ich möchte die Erste sein, die ihn sieht!
    – Ich bitte doch bedenken daß er mein Sohn ist Fräulein, meinte der Alte scherzend.
    – Dein Sohn ist er seit dreißig Jahren, entgegnete lachend das junge Mädchen; mein Bräutigam aber erst seit zwei Jahren!«
    Die Jeune-Hardie war jetzt ganz in Sicht; die Mannschaft traf bereits ihre Vorbereitungen zur Landung. Die hohen Segel waren aufgegeit, und man konnte einige Matrosen erkennen, die in die Takelage eilten. Aber weder Marie noch Johann Cornbutte hatten bis jetzt dem Kapitän der Brigg einen Gruß zuwinken können.
    »Dort ist der Obersteuermann André Vasling! rief Clerbaut.
    – Und dort Fidèle Misonne, der Zimmermann, bemerkte ein Hochzeitsgast.
    – Und setzt sehe ich auch unsern Freund Penellan!« rief ein Anderer, indem er dem Erwähnten ein Zeichen machte.
    Die Jeune-Hardie war nur noch drei Kabellängen vom Ufer entfernt – da stieg ein schwarzes Segel an der Gaffel des Briggsegels auf… Es war Trauer an Bord!
    Ein Gefühl namenlosen Schreckens durchzuckte Alle, besonders aber das Herz der sungen Braut.
    Die Brigg lief langsam in den Hafen ein, und kaltes, tiefes Schweigen herrschte auf dem Verdeck. Bald hatte sie das Ende des Hafendammes passirt, und Marie sowie Johann Cornbutte und alle Freunde stürzten nach dem Kai, an dem sie beilegen sollte, und befanden sich in wenigen Augenblicken an Bord.
    »Mein Sohn!« rief Johann Cornbutte; er konnte kein weiteres Wort hervorbringen.
    Die Seeleute wiesen, entblößten Hauptes, auf die Trauerflagge.
    Marie schrie verzweiflungsvoll auf und sank dem alten Cornbutte in die Arme.
    André Vasling hatte die Jeune-Hardie zurückgeleitet; Ludwig Cornbutte, Mariens Verlobter, war nicht mehr an Bord.
Zweites Capitel.
Johann Cornbutte’s Blau.
    Sobald das junge Mädchen unter der Obhut liebender Freunde die Brigg verlassen hatte, theilte der Obersteuermann André Basling Johann Cornbutte des Näheren das Ereigniß mit, durch welches er des Wiedersehens mit seinem Sohn beraubt worden war, und das in dem Schiffsjournal folgendermaßen verzeichnet stand:
    »Unser Schiff, das bei schlechtem Wetter und stürmischen Südwestwinden beigelegt hatte, bemerkte am 26. April auf der Höhe des Maëlstroms Nothsignale, die ihm von einem Schooner unter dem Winde gemacht wurden. Dieser Schooner, der seines Fockmastes beraubt war, ließ sich willenlos vom Winde auf den Strudel zutreiben. Als Kapitän Cornbutte sah, wie das Schiff einem gewissen Untergang entgegenging, beschloß er, sich an Bord zu begeben; trotz der Vorstellungen seiner Leute ließ er die Schaluppe in’s Meer setzen und stieg mit dem Matrosen Cortrois und dem Untersteuermann Pierre Nouquet ein. Die Mannschaft

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