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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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am Boden und schreit mit weit offenem Munde – brüllt. Da kann ich auch nicht anders und gebe ihm eine Ohrfeige. Er schweigt. In einer Ecke vom Gang, beleuchtet von der halb ausgebrannten Birne, so dass sie beide wie Gespenster aussehen, stehen die beiden Alten. Plötzlich stösst die alte Frau einen kurzen Schrei aus und fällt um. Wir tragen sie aufs Bett, die Emma und ich. Und dann verbind' ich der Emma die Hand. »Er ist wie sein Vater«, sagt die Emma leise. »Der hat auch in der letzten Zeit, bevor er in die Anstalt gekommen ist, solche Anfälle gehabt. Und wir haben den Buben immer nur eingesperrt halten können, weil er oft mit einem Messer auf uns losgegangen ist. Und die Mutter will ihn nie in eine Anstalt versorgen lassen, sie würden ihn dort töten, meint sie.« Während sie das erzählt, höre ich hinter mir einen leisen Schritt. Der Notar steht da. In einer alten Hose und in einem zerrissenen Hemd. Wahrscheinlich will er seiner Stieftochter helfen. Er setzt sich ganz leise auf einen Stuhl. »Sie ist tot«, murmelt er. »Jetzt ist doch alles umsonst gewesen. Und ich kann wieder irgendwo von neuem anfangen.« Dabei wischt seine Rechte immer übers Gesicht, als ob dort Spinnweben wären. Aber weinen kann er nicht. Dann gehen die Emma und ich in den Gang und sehen nach dem Buben. Der liegt am Boden und schläft. Zur Sicherheit binden wir ihn. Ich nehme die Hundepeitsche auf und schau die Emma an. Sie wird rot, zuckt mit den Achseln und sagt: »Ja, ich hab' mir nicht anders zu helfen gewusst; am Anfang hat mir der Doktor noch Schlafmittel gegeben – aber dann wollt' sie der Bub nicht mehr nehmen. Und wenn er wild wurde in seinem Zimmer, musst' ich ihn verprügeln, damit er schwieg. Wir hätten Sie ja nie ins Haus genommen, wennwir das Geld nicht so notwendig gebraucht hätten.« Sie schaut mich ängstlich an, ob ich ihr auch glaube. Dann geht sie weg. Ich gehe zum Notar in die Küche, führe ihn in mein Zimmer und lege ihn ins Bett. Telephoniere dem Doktor. Der ist dann bald gekommen, und noch in der gleichen Nacht haben sie den Buben in eine Anstalt gebracht. Ich habe bei der Toten Wache halten wollen, aber ich bin so müde gewesen, dass ich gegen Morgen eingeschlafen bin. Und da war die Emma fort. Sie hat noch in der Nacht ihre Sachen gepackt und ist zu ihrem Onkel nach Rom. Einmal hat sie mir eine Karte geschickt.
    Ich hab' dem Kari die Geschichte erzählt, und er war zufrieden, sie als erster zu erfahren. Er hat dann viel dazu beigetragen, dass die Bauern von da an den Notar besser behandelt haben. Und ich warte immer noch, bis die Emma einmal von Rom zurückkommt...
    Loset, Jungfer!... Jungfer!... Ich hätt' noch gern einen Kognak! Sonst kann ich diese Nacht nicht schlafen...

Der Schlossherr aus England
    Der Mann trug einen dunklen Mantel, der auf dem Rücken Falten warf. Die Absätze seiner Schuhe waren schiefgetreten, die Hosen unten ausgefranst und bis zur halben Höhe der Waden mit Kot bespritzt. Das Wetter war auch danach. Die Bäume glichen Besen, die man zu lange eingeweicht hat.
    Der Mann hatte einen unsichern Schritt; er hinkte leicht. Den Kopf hatte er nach vorn sinken lassen, er ging auch sonst gebeugt: Vielleicht war der Mantel schwer, der Mantel, der sich mit Feuchtigkeit vollgesogen hatte.
    Seit etwa fünf Minuten folgte Schwester Klara dem Mann. Sie hatte eine Besorgung gemacht, nun wollte sie wieder ins Gemeindespital zurück, wo sie Oberschwester war. Das Dorf war lang, das Spital lag am andern Ende. Sie hätte den Mann leicht überholen können, aber sie war neugierig. So folgte sie ihm, um ihn zu beobachten.
    Der Mann schlurfte weiter über die verlassene Dorfstrasse. Vor der Wirtschaft zum »Klösterli« blieb er einen Augenblick stehen, grübelte in den Hosentaschen, dann schüttelte er den Kopf und knöpfte seinen alten Mantel wieder zu. Er presste die Hand aufs Herz und ging weiter, mit schiefem Oberkörper.
    Dem Gemeindespital gegenüber stand eine Bank. Der Mann ging auf sie zu, liess sich niederfallen und blieb regungslos sitzen. Sein Kopf war tief herabgesunken, der Schirm seiner grauen, verwaschenen Mütze verbarg das Gesicht. Schwester Klara ging zögernd an der Bank vorbei, öffnete die Gattertüre, ging aufs Spital zu, kehrte wieder um, als sie ein leises Stöhnen hörte.
    »Fehlt Ihnen etwas?« fragte sie, als sie neben dem Mann stand.
    »Herz, das Herz!« flüsterte der Mann und hob ein wenig den Kopf. Seine Lippen zitterten.
    Schwester Klara griff nach seinem

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