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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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heimgekommen bin und die drei wie Wachsfiguren unter der Lampe gesessen sind, hat sie immer für ihren Stiefvater ein böses Wort gefunden, sobald ich dieStufen hinaufgestiegen bin, so dass mir schliesslich der Alte richtig leid getan hat und ich seine Partei gegen die Stieftochter genommen habe. Überhaupt, diese Ehe! Ich hab' ja nie viel davon gesehen, höchstens am Sonntag, wenn ich daheim blieb, weil mir der ewige Hock in der Wirtschaft verleidet war. Natürlich werden Sie mir sagen, ich hätte auch wegfahren können in die nächste Stadt. Aber was dort tun? Einen öden Film ansehen? Ich hab' nichts übrig für die schönen Weiber auf der Leinwand ... Sie sind so flach! Wenn ich sie bewundern soll, komme ich mir vor wie ein Vierzehnjähriger, der aus einem französischen illustrierten Blatte ein paar Weiber ausgeschnitten hat und sie versteckt, um sie am Abend vor dem Schlafengehen anzustieren.
    Ja, die Ehe der beiden! An einem Sonntagnachmittag hab' ich sie zusammen sprechen hören. Das war auch das erste Mal. Ich stand oben an der Treppe und wollte gerade fortgehen. Die beiden Alten sassen im Wohnzimmer am runden Tisch, und der Mann sagte: »Das beste wäre doch, ihn fortzuschaffen.« – »Nein«, antwortete die Frau mit weinerlicher Stimme. Und wirklich, es hat so getönt wie das Winseln in der Nacht. »Nein, das gibt's nicht! Ich hab' ja sonst nichts auf der Welt. Die Emma will ja auch fort von mir. Und du bist auch den ganzen Tag nie daheim, und wenn du einmal da bist, so langweilst du dich mit mir. Oh, ich weiss schon, die Emma gefällt dir viel besser, und du willst sie nicht gehen lassen, obwohl sie eine schöne Stelle haben könnte, bei ihrem Onkel in Rom. Ich weiss ja nicht, was ihr beide hinter meinem Rücken tut, aber meinen einzigen Trost lass' ich mir nicht nehmen. Und wer kann wissen, wie man ihn behandeln wird? Hier hat er doch wenigstens mich. Wer weiss, ob sie ihn nicht einfach umbringen im Spital.«
    Ich dummer Esel hab' gemeint, sie spricht noch immer von einem Hund.
    Dann sind noch vierzehn Tage vergangen, es war schon um Weihnachten herum, als die Katastrophe passierte. Mitdem Wirt, dem dicken, habe ich gute Freundschaft geschlossen. Es war so ein Mensch in meiner Art: ruhig, dick und freundlich. Und wir mussten beide dasselbe tun, immer ein freundliches Gesicht schneiden, um keine Kunden zu verlieren. Der Kari also, der Wirt, hat sich an einem Abend zu mir gesetzt und gesagt: »Ich weiss nicht, was bei deinen Wirtsleuten los ist, aber etwas wird sicher in der nächsten Zeit passieren. Letzthin ist die Emma aus dem Haus gelaufen, weinend, mit verstrubbelten Haaren, in Filzpantoffeln. Und die Mutter hinter ihr her. Und irgend jemand im Haus hat geschrien wie ein Tier, das man metzgen will. Der Notar war's nicht, den hab' ich gesehen aufs Bezirksamt gehen.« – »Ach«, sag' ich, »das wird der Hund gewesen sein; ich höre ihn jede Nacht winseln.« – »Also«, hat der Kari gesagt, »wenn es etwas gibt, musst du mir es zuerst erzählen, das bist du mir schuldig, als deinem alten Freund.« Ja, der gute Kari! Er war die ungedruckte Zeitung vom Dorf; ein Wirt muss so etwas machen, dann hat er immer genug Kunden. Ich hab's ihm versprochen.
    Es war in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag. Mir ist es in den letzten Tagen auch aufgefallen, wie aufgeregt die Emma war. Nie ist sie mehr am Morgen neben meinem Bett stehen geblieben, um mit mir z'brichte ...
    In dieser Nacht bin ich also gegen zwei Uhr aufgewacht von einem wüsten Krach vor meiner Zimmertür. Ich fahr' in die Hosen und reiss' die Tür auf. Da seh' ich einen Bub, rote Haare und schmutzige, zerrissene Hosen, der hat sich an der Hand von der Emma festgebissen. Die immer verschlossene Tür, hinten im Gang, ist offen, aus den Angeln gerissen und hängt nur noch am Schloss. Ich seh' die Emma, sie hält in der rechten Hand eine Hundepeitsche und schlägt auf den Buben los; aber der ist wie ein junges Tier, tritt und strampelt mit den Füssen, und seine Zähne lassen die Hand, in die er sich verbissen hat, nicht los. Ich muss schon sagen, das Ganze hat mich aufgeregt. Ich bin näher getreten, hab' dem Buben die Hände von hinten umden Hals gelegt und die Daumen gerade vor den Ohren fest angesetzt – und dann gedrückt, bis er losgelassen hat. »Wer ist denn das?« hab' ich ganz dumm gefragt. – »Mein Bruder!« sagt die Emma. Sie trägt einen blauen Morgenrock über dem Nachthemd. Ganz bleich ist sie, und ihre Hand blutet. Der Kleine liegt

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