Erzählungen
lächeln, wie ein Grossrat vor den Wahlen, um es ja mit niemandem zu verteufeln. Beim Wirt also, während wir einen Zuger schmettern, frag' ich so nebenbei, ob denn der Notar einen Hund habe. »Hund?« fragt der Wirt ... »Nein. Der Schneider kann doch Tiere nicht leiden. Meinem Barry hat er einmal einen Fusstritt gegeben, nur weil der Hund ihm die Hosenbeine beschnüffelt hat ...«
Wir spielen weiter, und der Wirt erzählt so nebenbei:
Ja, der Notar habe es schwer. Früher sei er in der Stadt gewesen und habe dort eine gute Praxis gehabt, aber da sei eine dunkle Geschichte gewesen mit seiner jetzigen Frau. Das sei nämlich e G'schydni, und der erste Mannsei in einer Anstalt versorgt worden, weil er getrunken habe. Man habe den Notar beschuldigt, dass er bei der Internierung mitgeholfen habe, weil die Frau Geld gehabt hätte. Er, der Wirt, glaube das nicht, aber abstinent sei der Notar auf alle Fälle. Darum sei er auch so verhasst bei den Bauern rund herum, sie gingen nur zu ihm, wenn es unbedingt nötig sei, und zahlen täten sie erst, wenn der Schneider sie betreiben lasse. Er habe auch schon Hypotheken auf das Haus genommen und sicher das letzte Geld der Frau hineingesteckt.
Wie ich heimkomme, sitzen die drei wieder stumm um den Tisch, wie am gestrigen Abend. Der Alte fährt auf und sieht mich böse an, weil meine Schuhe knarren. Nur die Mutter bleibt ruhig hocken und strickt, strickt so langsam, dass ich in Versuchung komme, die Feder aufzuziehen, damit das Stricken ein wenig gleitiger läuft. Wenn Sie meine Grossmutter hätten stricken sehen – und daneben diese alte Frau!
Nur die Emma steht auf und fragt, ob nichts fehle in meinem Zimmer. Und sie wolle morgen sicher nicht vergessen, mir warmes Wasser zum Rasieren zu bringen. Vor einer Viertelstunde habe sie die Flasche mit frischem Wasser gefüllt. Ich danke ihr freundlich.
Mitten in der Nacht wache ich auf, weil etwas an meiner Türe kratzt. Ich will schon aufstehen, um nachzuschauen, was es denn gibt, da höre ich ein böses Geflüster im Gang. Die Stimme der Emma und noch eine. Und dann eine Art Ringen und heftige Atemzüge. Ich will gerade in meine Hosen fahren, da wird es draussen still. Mira! denk' ich. Vielleicht ist es die alte Frau, die nicht stricken kann ... Sie kann wohl auch nicht schlafen. Drehe mich auf die andere Seite und schlafe wieder ein. So im Einschlummern höre ich wieder das Winseln und das Riemenklatschen, aber wenn man am Tage fünfhundert Kilometer auf schlechten Strassen gemacht und sich die Kehle wundgeredet hat, interessiert einen wenig mehr.
Die nächsten Tage ist nicht viel passiert. Die Emma hatmir am Morgen immer mein Frühstück gebracht. Sie hat wohl gemerkt, dass ich sie gerne mag, denn sie ist immer daneben stehen geblieben, während ich im Bett, wie ein Prinz, gefrühstückt hab'. Einmal hab' ich sogar ihre Hand genommen und recht lang gehalten – sie hat sie mir nicht entzogen. Dann hat sie angefangen zu weinen, so ein trockenes Aufschlucken ohne Tränen, und ich dummer Kerl bin so verlegen geworden, dass ich nichts zu sagen gewusst habe. Wenn ich sie damals gefragt hätte ... Sie hat dann richtig vergessen, das Frühstückstablett mitzunehmen.
Das Wetter ist immer gleich geblieben. Geregnet hat es, und ich hab' aufpassen müssen, damit ich nicht ausgleite mit meinem Karren. Aber nachgedacht hab' ich doch. Das Meitschi muss das Haus verlassen! Weggehen von den beiden Alten! Die ganze Luft in dem Haus ist vergiftet, hab' ich mir gesagt. Mir schadet es nichts: Erstens, weil ich nur dort schlafe, und zweitens, weil ich robust bin. Gern hätt' ich die Emma eingeladen, einmal am Abend mit mir spazieren zu gehen. Aber bei diesem Wetter ... An was für Kleinigkeiten manchmal ein Schicksal hängt. Wenn es damals Juni gewesen wäre, statt November, so wäre vielleicht alles gut gekommen ...
Und dann hat mir der Wirt einmal erzählt, dass der Notar mit seiner Stieftochter Arm in Arm spazieren gehe ..., die beiden seien sehr zärtlich zueinander. Da habe ich mir den Mann richtig angeschaut. Er war gar nicht so alt, höchstens vier bis fünf Jahre älter als ich, und vielleicht wartete er nur auf den Tod seiner Frau; die Frau könnte ja seine Mutter sein. Und herzkrank war sie auch ... Wie ich das hab' festgestellt, bin ich kühler gegen die gute Emma geworden. Es ist mir vorgekommen, als sei sie nicht mehr so sauber, wie ich sie mir vorgestellt hatte ... Das merkte sie und wurde reizbar. Wenn ich zum Beispiel am Abend
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