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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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und zwei davon verbrachten wir sitzend, weil der Leutnant uns Theorie gab, eine Stunde Schiessen am Nachmittag und von fünf Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends freien Ausgang. Die bösen Tage sollten erst später kommen, in Marokko.
    Dolf blieb unsichtbar, ein paarmal ging ich zu seiner Kompagnie, quer über den Hof, in dem die Mittagssonne die Luft zum Kochen brachte, und immer hiess es, auch während des Nachmittagsschlafes, der »Sieste«, er sei soeben fortgegangen. »Mit wem?« wollte ich wissen. Achselzucken. »Bald mit diesem, bald mit jenem«, hiess es. Ich liess die Sache auf sich beruhen, denn ich hatte die Bekanntschaft Baskakoffs gemacht, und da dieser Russe in meiner Geschichte eine Rolle spielt, muss kurz über ihn berichtet werden.
    Kennengelernt hatte ich ihn auf folgende Art: Nach drei Wochen war unsere Kompagnie auf Wache kommandiert worden – die ganze Maschinengewehrkompagnie samt uns Schülern. Man zieht um sechs Uhr auf, steht zwei Stunden Wache, ruht vier Stunden, steht wieder zwei Stunden und so fort. Ich hatte die Wache von acht bis zehn. Von zehn bis zwei war ich frei. Um elf Uhr erscheint vor dem Posten ein Sergeant und verlangt einen Mann, um eine Ronde zu machen. Ich bin nicht schläfrig und melde mich; fünf Schritte vom Posten stellt sich der Mann vor, als ob wir auf einer Gesellschaft wären: Baskakoff. Ich nenne meinen Namen. Verbeugung. Händedruck. Nach fünfzig Schritten diskutieren wir über das Ende von Dostojewskys »Schuld und Sühne«: ob es verfehlt sei, Konzession an die Moral, oder ob es sich dichterisch verantworten lasse. Von Dostojewskykommen wir auf Schopenhauer, über einen kleinen Umweg zu Rilke – dann erzählt Baskakoff von Tschechow und von Andrejeff. Kurz, aus der Ronde wurde ein ausgedehnter Spaziergang rund um die Stadt Bel-Abbès, und ich kam fünf Minuten vor zwei in die Kaserne zurück, gerade zur rechten Zeit, um wieder auf Posten zu ziehen. Sie werden mich der Aufschneiderei zeihen, aber mit Unrecht. Baskakoff war ein gebildeter Mann, was ja an sich nichts Aussergewöhnliches wäre, es gibt viele Gebildete – aber dazu war Baskakoff noch gescheit, und das ist seltener. Er war Rechtsanwalt in Odessa gewesen und am Morgen in Pyjama und Schlafrock rasch über die Gasse gegangen, um sich von seinem Barbier rasieren zu lassen. Als er zurückkam, hatten die Bolschewiken sein Haus besetzt – er war obdachlos, im Hafen war noch ein französisches Detachement, das einige »Reaktionäre« für die Legion eingefangen hatte. Es war vollständig, bis auf einen Mann, der sich wieder verflüchtigt hatte. Der Fürsprech (seinen richtigen Namen hat er mir nie verraten) nahm die Stelle des Fehlenden ein, der Fehlende hiess Baskakoff und war von Beruf Tischler. So wurde der Herr Rechtsanwalt zum Tischler Baskakoff, was merkwürdige, lustspielartige Verwechslungen ergab, als er in Bei-Abbès ankam. Bis der Colonel (der Oberst) ihn entdeckte. Von da an war er gerettet. Er verfertigte die Anklageschriften fürs Kriegsgericht und war in seinem alten Beruf tätig. Und so zufrieden war der Oberst Desjardin mit ihm, dass er ihn nach Monaten zum Korporal vorschlug. Nach sechs Monaten war Baskakoff Sergeant. Sein Französisch war ein wenig mangelhaft, so gab ich ihm regelrechte Sprachstunden. Er war zufrieden, und wir haben ein paar schöne Abende zusammen verbracht. Aber merkwürdig, geduzt haben wir uns nie ...
    Es ist begreiflich, dass ich über meiner Bekanntschaft mit Baskakoff den jungen Ackermann mit den blonden Haaren auf dem langen Schädel vergass.
    Bis ...
    Nach drei Wochen zogen wir wieder auf die Wache, unddiesmal war ich zum Gefängnis abkommandiert. Das ist ein einstöckiges Viereck, die niederen Bauten, die es einfassen, bestellen aus Zellen: Pritsche, Eimer, Fenster mit vier senkrechten Eisenstangen. In der Mitte ein grosser Hof, in dem die Bestraften von morgens sechs bis um elf Uhr und von zwölf bis sieben Laufschritt, Freiübungen, »nieder! auf!« mit einem zwanzig Kilo schweren Sandsack machen. Wenigstens war dies zu meiner Zeit so, es soll abgeschafft worden sein. Um die Quälerei zu verstärken, wurden den Bestraften die Schnürsenkel aus den Schuhen entfernt. Resultat: blutige Füsse. Der Vorsteher dieses Gefängnisses war Korse, und in der Legion herrscht das Sprichwort: Ein Korse ist entweder sehr gut oder teuflisch schlecht. Ich glaube nicht, dass der Teufel so gemein ist, wie der Sergeant Cattaneo es war. Er kannte sich in den Quälereien aus: in die

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