Erzählungen
andererseits: Man mag über die Legion denken wie man will. Wenn nicht Indizien, schwerwiegende Indizien, wie die Kriminalisten sagen, vorhanden gewesen wären, dann hätte man den Dolf nie eingesperrt. Unnütz, über die Frage weiter nachzudenken, man wird den Dolf fragen müssen...
Zwei bis vier – acht bis zehn – und wieder zwei bis vier morgen nachmittag. Das sind die Stunden, die ich noch stehen muss. Sechs Stunden. Zeit genug. Und dann hab' ich gedankenlos die Feldflasche ausgetrunken – zwei Liter fasst sie, ich habe sie füllen lassen, bevor ich auf die Wache gezogen bin, ein Liter war noch vorhanden. Schwerer Rotwein... Und dann schläft man ein, tief und fest. Aber man wacht auf, ohne Wecker, Viertel vor zwei, und hat gerade noch Zeit, die Feldflasche mit Wasser zu füllen...
Den andern habe ich nichts gegeben. Dolf hat zwei Liter Wasser getrunken, nun ist ihm besser, seine Stimme tönt nicht mehr heiser, er kann Antwort geben. Aber es ist nicht viel, was er zu berichten weiss.
Seine »Prime« hat er schon am Sonntag verputzt gehabt. Nun ja, begreiflich. Wenn die Erzählung von seinem Leben richtig ist, so ist er in einem gutbürgerlichen Haus aufgewachsen. Dort ist das Taschengeld immer knapp. Und nun bekommt er plötzlich eine grössere Summe in die Hand. Was tut er damit? Er ist glücklich, wenn er sie verputzen kann. Eine sehr verständliche Reaktion. Wahrscheinlich hätte ich es vor fünf Jahren nicht anders gemacht. Gut. Er hat kein Geld mehr. Aber er möchte die Herrlichkeiten weiter geniessen. Sold? Fünfundzwanzig Centimes im Tag? Es langt kaum für Zigaretten. Fleiner ist ein Landsmann. Dolf ist mit ihm ausgegangen. – Fleiner, der Ermordete, ist ein Landsmann!... Er hat ihn freigehalten. Man – das heisst viele Kameraden – hat die beiden zusammen ausgehen sehen.
Und dann?
An jenem Abend, an dem Fleiner ermordet worden ist, hat Dolf kaum den Heimweg gefunden. Heimweg! Das ist auchso eine Redensart: den Weg in die Kaserne. Dolf war betrunken, Fleiner auch. Unterwegs ist Dolf eingeschlafen, dann ist er aufgewacht, Fleiner war verschwunden, und dem Dolf hat es geschienen, als habe sich jemand an seinem Rock zu schaffen gemacht. Mehr noch, es kommt ihm vor, als habe er nicht mehr den gleichen Uniformrock an. Es ist ein Rock aus Khakistoff, natürlich, in der Legion trägt man ihn nicht, wie gewöhnliche Sterbliche ihn tragen, nein, man zwängt seine Schösse in die Hosen, knöpft die Hosen darüber zu und windet sich dann die flanellene Leibbinde, dreifach zusammengelegt, um die Hüften.
Der Rock war ein anderer – er hatte einen höheren Kragen –, und die Leibbinde war ganz lose.
Und am nächsten Tage, als die Geheimpolizisten die Front der zweiten Instruktionskompagnie abschritten, fanden sie, dass die Ärmel von Dolfs Khakirock vorn Blutspuren trugen. Wenige zwar, aber gut sichtbare – wenn man aufmerksam hinsah. Und das Bajonett – stilettartig, aus bläulichem Stahl – trug in seinen Rinnen Rostflecken. Kein Rost, nein, die nähere Untersuchung zeigt, dass es Blut ist. Menschenblut. Mein Gott, sogar in Bel-Abbès hat die Polizei gelernt, die Hämoglobin-Probe zu machen und die roten Blutkörperchen unter dem Mikroskop zu untersuchen. Ja, mehr noch: Das Blut am Bajonett, das Blut an den Ärmeln gehört zur selben Blutgruppe wie das Blut des ermordeten Fleiner...
Das alles hat man in den Verhören, die jeweils acht bis zehn Stunden dauerten, dem Dolf hundert-, zweihundertmal an den Kopf geworfen. Und der korsische Sergeant hat dafür gesorgt, dass der Durst die begonnene Einschüchterungsarbeit mit Erfolg kröne...
Mit Erfolg kröne... So spricht Dolf. Er scheint ein wenig Mut gefasst zu haben. Aber wir haben so lange miteinander geflüstert, dass ich nach meinen andern gefangenen Vögeln sehen muss. Sonst werden sie eifersüchtig. Ein zweites Päcklein Job muss daran glauben.
Vier Uhr... Bis acht schlafe ich. Nützlicheres kann mannicht tun. Um acht Uhr ist der korsische Sergeant Cattaneo vollauf beschäftigt, seine Tiere zu dressieren. »Auf! Nieder! Laufschritt! Eins – zwei – drei – vier! Nieder! Auf! Kniebeuge! Eins – zwei!« Alles mit einem zwanzig Kilo schweren Sack auf dem Buckel, Steine und Sand.
Ich habe also nur den Dolf zu bewachen. Aber am Tage heisst es vorsichtig sein. Der Sergeant ist ein schlauer Hund. Also frage ich zuerst, ob Cattaneo schon seine Morgenvisite gemacht hat. – Nein. – Gut. Also warten.
Nach einer Viertelstunde kommt er. Das
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