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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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erschossen!« sagte Dolf. »Sie haben mich angeklagt wegen Mord. Sie lassen mich nicht aus der Zelle heraus. Ich bekomme nur gesalzene Suppe, mittags und abends, und keinen Schluck Wasser. Und er gibt mir Fusstritte. Fünfmal war ich schon vor dem Hauptmann, und ich soll gestehen, dass ich den Fleiner umgebracht habe, wegen seiner ›Prime‹, um ihm das Geld zu rauben, und ich bin es nicht gewesen.«
    »Du«? sag' ich. »Den Fleiner umgebracht? Das ist doch Blödsinn.« Und ich erinnere mich gut an die Geschichte. Vor vierzehn Tagen war es. Da mussten wir eines Morgens im Kasernenhof antreten. Unsere Kompagnie zuerst, in Ausgehuniform, die weisse Flanellbinde um die Hüften unddarüber an der Koppel das Bajonett. Zwei Zivilisten schreiten unsere Reihen ab. Wir müssen das Bajonett, das aussieht wie ein langes Stilett aus bläulichem Stahl, vorzeigen und die Binde auftun und die Ärmel zurückschlagen, damit man das Hemd sehen kann.
    Die beiden Zivilisten schreiten unsere Linien ab, unser Capitaine, dicht hinter dem Obersten Desjardin, trabt hinter den beiden. Jeden von uns besehen sich die zwei – schwer ist es nicht, ihren Beruf zu erraten: kleiner Schnauz, breite Schuhe, steifer Kragen mit fertiger Masche; einer raunt es dem andern zu: »Geheimpolizei«. Aber wir wissen noch gar nicht, was passiert ist. Die beiden Detektive, die der Franzose respektlos »Kühe« nennt, sind mit unserer Kompagnie fertig.
    »Abtreten.«
    Nachher erfahren wir, dass ein Deutscher, namens Fleiner, der mit dem letzten Transport gekommen ist, an selbigem Morgen ermordet aufgefunden worden ist. Im schlammigen Bett des Bächleins, das östlich vom Araberviertel vorbeifliesst. Drei Bajonettstiche: Lunge, Herz, Unterleib. Taschen leer. Ausgeraubt. Von unserem Zimmer aus sehen wir, wie die anderen Kompagnien der Garnison antreten, die beiden mit den breiten Stiefeln und den in dieser Hitze höchst lästigen steifen Hüten, schreiten auch dort die Front ab. Aber dann bläst das Horn zum Essen, wir sehen nicht mehr zu. Am Abend heisst es, einer von der zweiten Instruktionskompagnie sei verhaftet worden. Der Name war nicht zu erfahren, und wir haben auch nicht weitergeforscht.
    Also den Dolf, den Sohn des Kaufmanns Ackermann aus Frankfurt, hat es erwischt. Grosse Neuigkeit! Warum hat mir mein Freund Baskakoff nichts von der Geschichte erzählt? Und ich frage auch gleich:
    »Aber Dolf, hast du nie mit dem Sergeanten Baskakoff gesprochen?«
    »Nein«, sagte Dolf. »Nur mit dem Hauptmann von der Militärjustiz und den zwei Polizisten aus der Stadt.«
    »Haben sie dich geschlagen?«
    »Nein. Aber einmal zehn Stunden ausgefragt.«
    Zehn Stunden! Allerhand! Und daneben Salzsuppe und kein Wasser!
    »Willst du eine Zigarette, Dolf?«
    »Doch gern, gern, sehr gern!« Und dann Schluchzen. Ich muss gestehen, dass ich sonst nicht sentimental bin. Aber mir sitzt auch eine Kugel im Hals. Das also war's! Der Gestank nach Todesangst! ... Drei Zigaretten, und eine ist angezündet ... »Und um zwei bring' ich dir Wasser. Morgen sprech' ich mit Baskakoff. Aber jetzt sei still. Die Ablösung kommt. Und pass auf mit meinem Nachfolger. Er ist nicht dicht.«
    »Danke«, sagte die heisere Stimme. Das Schloss kreischt. Ablösung.
    Zehn Uhr. Nein; Baskakoff kann ich jetzt nicht aufsuchen. Der ist in der Stadt. Er kennt eine Dame, die ihn manchmal zum Tee einlädt, in allen Ehren, jawohl.
    Wir sind allesamt Sünder, und ich will gestehen, dass ich in der ersten halben Stunde nur an eines dachte: »Hast du dich«, dachte ich, »so sehr getäuscht? Hat dich der Dolf angeschwindelt? Ist er gar kein Kaufmannssohn, sondern ein verlottertes Bürschlein der Nachkriegszeit, das aus Frankfurt geflohen ist (Frankfurt? Es kann geradesogut Essen oder Hamburg oder Mannheim oder Karlsruhe sein), weil es etwas ausgefressen hat und ihm die Luft zu dick geworden ist?« Wie gesagt, wir sind allesamt Sünder und eitel obendrein. Es ist doch nicht gut möglich, dass man sich so getäuscht hat!
    Bei mir war es verletzte Eigenliebe. – Aber dann sehe ich den Dolf auf dem Schiff, und deutlich klingt in meinen Ohren seine Stimme. Ich höre ihn die Geschichte erzählen von seiner unglücklichen Liebe, höre ihn von seinem Vater sprechen ... Jung, kaum zwanzig. So sauber ist sein blondes Haar, seine Ohren sind wohlgeformt, sein Schädel ist lang, gesund und glatt seine Gesichtshaut. Schliesslich und endlich, ich bin doch kein heuriger Hase, ich habe schon genug Menschen gesehen ...
    Aber

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