Erzählungen
Abendsuppe eine Handvoll Salz und kein Wasser in die Zelle, die Gamelle des Mittagessens diente ihm zum Fussballspielen. wenn sie voll war. Dabei sah er sehr gut aus, der Sergeant. Schlank, mittelgross, mit bläulich-schwarzen Haaren, stets elegant angezogen (der Regimentsschneider arbeitete seine Uniformen um und gab ihnen Offiziersschnitt), war er der bestgehasste Mann in der Kaserne. Er wagte es nicht, allein in die Stadt zu gehen, immer mussten ihn drei Kollegen begleiten – und von diesen vier Mann trug jeder einen geladenen Browning in der Tasche. Ich zog auf Wache und hatte die Hälfte des Rechtecks abzupatrouillieren. Hinter mir wurde eine eiserne Türe geschlossen, deren Schlüssel man mir einhändigte. Aber der Schlüssel passte nicht in die Schlösser der Zellen. Mit aufgepflanztem Bajonett spazierte ich also auf und ab – es war acht Uhr, im Juni, der Himmel noch sehr hell, erst später ging die Sonne unter. Es stank in den beiden Schenkeln des Rechtecks, die meiner Aufsicht anvertraut waren, es stank ganz gemein, trotzdem der Gang kein Dach trug. Es stank – man möge mir das grosse Wort verzeihen –, es stank nach Angst. Nach Todesangst, wahrhaftig. Ein Geruch, der sich einem nicht nur auf die Lungen legte, nein, erging tiefer, er nistete sich in der Magengrube ein. Ich war froh, dass mein Freund Baskakoff, der Fürsprech aus Odessa, geraten hatte, vor der Wachablösung einen Liter Wein zu trinken; aber der Angstgeruch war stärker als der leichte Weinrausch. In meinen Patronentaschen hatte ich ein paar Päcklein Job-Zigaretten verstaut. Es war verboten, auf der Wache zu rauchen, aber da ich nicht überrascht werden konnte – die eiserne Tür, zu der ich den Schlüssel hatte, war schlecht geölt und kreischte, wenn man sie öffnete –, so hatte ich wenig zu riskieren.
Rot wurde der Himmel, erdbeerfarben, dann violett wie Stiefmütterchen, und die Stadt sandte ihren Staub über die Umfassungsmauer. Acht Zellen im Schenkel, den die Tür verschloss, zehn Zellen im andern Schenkel, der rechtwinklig zum ersten stand und am Ende von einer hohen Mauer abgeschlossen wurde. Achtzehn Zellen ...
Zuerst war es still. Es schienen Tote hinter den schweren Türen zu liegen, die nur ein winziges Guckloch in Augenhöhe hatten. Aber um halb neun wachten die gefangenen Vögel auf. Sie pfiffen ganz leise, verschüchtert. Ich horchte an einer Zelle, fragte: »Was gibt's?« – »Zigarette!«
Selbstverständlich. Ich schob die angezündete Job durchs Guckloch. Eine Zelle, zwei Zellen – und so weiter. Das machte siebzehn Zigaretten. Fast ein Paket. Ich war froh, dass ich damals, als mir die »Prime« ausbezahlt worden war, einen ordentlichen Vorrat von Zigaretten angelegt hatte. Und dass ich auch genug Zündhölzchen hatte. Und Wasser wollten die Vögel in den Käfigen auch. Aber Wasser hatte ich keines. Ich versprach, um zwei Uhr eine Feldflasche einzuschmuggeln. Man denkt eben nicht an alles, wenn man so unversehens in die Hölle kommt – überhaupt, man ist meist gedankenlos im Leben, denn dächte man ein wenig nach, so wüsste man, dass die Verdammten Durst leiden.
Siebzehn Zigaretten (drei blieben noch im Zwanzigerpäckchen) und achtzehn Zellen. Eine Zelle, gerade an der Ecke, wo die beiden Schenkel des Rechtecks zusammenstiessen, blieb stumm. War sie leer? Nein. Ich hatte die »Consigne«,den Wachtbefehl erhalten. In ihm war mir mitgeteilt worden, dass alle Zellen besetzt seien. Ein guter Gefangenenwärter muss das wissen.
Eine Zelle blieb also stumm. Ich klopfte vorsichtig mit dem Zeigfingerknöchel an die dicken Bohlen – keine Antwort. »Ist er tot?« fragte ich mich, »oder krank?« und überlegte, ob ich den Doktor, den Herrn Major, alarmieren solle. Aber nein, das ging nicht. »Hallo!« rief ich, leise noch immer, »schläfst du?«
Schweigen.
Das war unheimlich. Ich rief lauter, auf die Gefahr hin, von draussen gehört zu werden. Da endlich kam eine Antwort.
Die Stimme! Die Stimme kannte ich, obwohl sie rauh war. Und die Stimme rief mich beim Namen: »Chlaus!« sagte sie. »Bist du da?«
»Aber Kind Gottes!« ruf' ich und muss mich zusammennehmen, um nicht allzu laut zu schreien. »Was machst denn du hier?« Und ich bin erstaunt. Denn bei der Wachablösung hatten wir die Bestraften noch im Hofe exerzieren sehen (das, was der korsische Hund Exerzieren nannte), ein paar Kameraden hatte ich erkannt – aber ich war sicher, dass Dolf, der blonde Ackermann, nicht unter ihnen gewesen war.
»Ich werde
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