Erzählungen
wir es. Kleine Beeren. Verbrennen, um die Hexen zu vertreiben.«
»Und wir die bösen Geister ...«
Einer kam aus Russland, und Russland ist gross. Es gibt dort Gebiete, in denen man Deutsch spricht. Und der andere kam aus der Schweiz ...
»Dein Land ist klein, Baumann, nicht wahr?«
»Ja«, sagte der Schweizer. »Klein. Aber es soll einmal einer probieren, es zu erobern. Der wird sich wüscht in den Finger schneiden.«
»Sicher«, sagte Schilasky. »Die Schweizer sind tapfer.« Er wusste zwar, dass es einmal einen russischen General gegeben hatte, der durch die Schweiz marschiert war, Suwaroff hatte der Mann geheissen. Schilasky hatte es gelesen. Aber das war lange her. Und es wäre eine Taktlosigkeit gewesen, dem Schweizer dies unter die Nase zu reiben.
»Merkwürdig«, sagte er gedehnt. »Bei dir und bei mir – der gleiche Brauch! Schau, was ich da habe.«
Baumann beugte sich vor. Im Schein der kleinen Kerzensah er eine alte Sardinenbüchse, und auf ihrem Boden lagen kleine, braunschwarze Kügelchen. Einige hatten einen winzigen hellen Punkt.
»Reckholder!« sagte Baumann, und seine Stimme zitterte ein wenig.
Da nahm Schilasky die beiden farbigen Kerzlein vom Ginsterzweig, und eines gab er seinem Kameraden. Er zog sein Messer aus der Tasche und spaltete den Ginsterzweig an seinem dicken Ende. In den Spalt klemmte er die Sardinenbüchse.
Baumann begriff. Er war nicht so dumm, wie seine Kameraden stets meinten. Während Schilasky den Ginsterzweig mit der Sardinenbüchse hielt – in der Linken, und die Rechte hielt die Flamme des Kerzleins unter den Blechboden –, tat Baumann das gleiche. Auch die Flamme seines Kerzleins bestrich den Boden der Sardinenbüchse. Und so schritten die beiden rund um ihre drei Tiere, schweigsam, mit langsamen Tritten, Schilasky gerade aufgereckt, Baumann ein wenig torkelnd. Und als sie dreimal den Rundgang vollendet hatten – würziger Rauch quoll aus der Büchse in die kalte Winterluft, er bestrich die Nüstern der Tiere, dass sie niesen mussten –, hockten die beiden wieder ab und blieben sitzen in der kalten Winternacht. Schweigsam. Reglos.
Dann, nach einer langen Weile, zog Schilasky seine Uhr.
»Es ist zwölf Uhr. Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr, Kamerad.«
»Es guets Neus!« sagte Baumann. Sie schüttelten sich die Hände und stellten fest, dass sie kalte Finger hätten.
»Wir wollen schlafen gehen«, sagte Schilasky. »Vielleicht haben wir im neuen Jahre Glück. Auf alle Fälle werden unsere Tiere nicht krank werden.«
»Sicher nicht«, bekräftigte Baumann.
Sie gingen in die Baracke zurück, in der es nach Rauch, Schnaps und Streit stank. Aber sie schliefen beide gleich ein.
Kuik
Dass es Pechvögel gibt, werden nur Pädagogen und Philosophieprofessoren leugnen wollen. Und ihnen hätte ich gerne die Geschichte erzählt vom Ackermann Adolf, der mit mir in Metz engagiert hatte – auf fünf Jahre wie ich. Und warum er engagiert hatte – in die Fremdenlegion nämlich –, das hat er mir dann auf der Fahrt von Marseille nach Oran auf dem »Sidi-Brahim« erzählt. Die anderen waren seekrank, denn der Golf du Lion, der Löwengolf, ist im April immer aufgeregt, aufgeregter, als man es vom braven Mittelmeer erwarten würde. Aber von den Launen dieses grösseren Sees, der nicht einmal weiss, was Ebbe und Flut ist und darum wahr- und wahrhaftig nicht zu den Meeren gerechnet werden kann (nur salzig ist er), hat schon der heilige Paulus ein Lied zu singen gewusst.
Nun, der Ackermann erzählte mir, dass er mit seinem Vater in Frankfurt Krach bekommen habe. Man schrieb damals das Jahr neunzehnhunderteinundzwanzig, knapp drei Jahre nach dem Krieg, den gewisse Leute den »grossen« nennen, als ob eine Schlachtbank einen Anspruch auf Grösse erheben könnte; und damals war der Abgrund, der zwischen zwei Generationen klaffte, sehr gross – unüberbrückbar, würde ich sagen, wenn ich nicht wüsste, dass man mit grossen Worten vorsichtig umgehen muss. Papa Ackermann war Grosskaufmann zu Frankfurt gewesen, hatte gut verdient während des Krieges, während der nachfolgenden Teuerung – kurz, es war ihm gelungen, in die Kreise einzudringen, die man die »besseren« nennt. Und der Sohn Ackermann (Adolf mit Vornamen, ich nannte ihn schon damals Dolf) hatte sich in eine kleine Verkäuferin vergafft, ein armes, aber wie der alte Gemeinderat gesagt hätte, »honettes Frauenzimmer«. Mit zwanzig Jahren wird eine simple Liebesgeschichte leicht zur Tragödie, und bei Dolf war
Weitere Kostenlose Bücher