Erzählungen
eine Tragödiedaraus geworden. Papa Ackermann wollte nichts von einer Heirat wissen (die »besseren« Kreise!), da nahm der Junge Abschied von seinem honetten Frauenzimmer und von der Stadt Frankfurt und trug seine tragische Liebesgeschichte in die Fremdenlegion. Er war zu jung gewesen, um den Krieg mitzumachen – vielleicht sehnte er sich nach etwas Romantik. Sport hatte er getrieben, hübsch sah er aus mit seinen blonden Haaren über einem blühenden Gesicht. Sein Schädel war lang und schmal, und die Schläfen buchteten sich ein. Ich erklärte ihm, er sei ein Trottel, aber als er darauf Tränen in die Augen bekam, dämpfte ich meine Philippika und sagte ihm: Ja, ich verstünde seinen Kummer. In Bel-Abbès bekamen wir am zweiten Tag unsere diversen Uniformen: eine blaue, eine resedagrüne, zwei khakifarbene, dazu Bauchbinde, Schuhe und Socken; die Socken hatten die merkwürdige Eigenschaft, nach dem ersten Tragen in Staub zu zerfallen. Sie verschwanden ganz einfach aus den Schuhen. Nun, das sind Dinge, die vorkommen und über die man sich nicht weiter aufregt. Dann wurden wir wie eine Herde Schafe dem Herrn Major zugetrieben – Herr Major nennt man dort unten den Arzt – und alle mit der gleich rostigen Hohlnadel gegen Typhus geimpft. Schwellung des Schulterblattes... Ich kannte das und riet dem Dolf (dem jungen Ackermann also), einen Liter Wein zu trinken. Er folgte leider meinem Ratschlag nicht, bekam Fieber wie die andern, so dass ich allein das ganze Zimmer versorgen musste: mit Kaffee am Morgen, mit Mittag- und Abendessen. Die Kost war gut und reichlich, es war wirklich nichts gegen sie einzuwenden.
Am fünften Tage wurden wir getrennt. Weil ich gut deutsch und französisch konnte, fischte mich der Hauptmann der Maschinengewehrkompagnie aus dem Rudel der Neuangekommenen und steckte mich in die Unteroffiziersschule. Der Dolf konnte kein Wort von der dort üblichen Sprache, und so kam er in eine Rekrutenschule für Mottenstüpfer, wie wir bei uns sagen.
Nun ist es aber in der Legion mit dem Geld also bestellt:Man bekommt eine »Prime« (wie sie sagen), ein Handgeld von fünfhundert Franken – wenigstens war es damals so, heute soll es mehr sein. Die Hälfte (also zweihundertfünfzig Franzosenfranken) wird einem am ersten Donnerstag nach der Ankunft ausbezahlt, die zweite Hälfte drei Monate später. Logisch. Bekäme einer auf einen Schlag die ganze Summe in die Hand, er wäre wohl am nächsten Tag nicht mehr am Abendappell anwesend, sondern hätte sich empfohlen. Und schwer wäre es, ihn wiederzufinden, da er sozusagen noch unbekannt ist, ein unbeschriebenes Blatt.
Ich traf den Dolf beim Auszahlen der Prime, und ich riet ihm noch: »Sei sparsam mit dem Geld. Man kann nie wissen, wie es uns gehen wird. Vielleicht bist du später froh, ein wenig Geld im Sack zu haben. Komm mit uns, wir gehen irgendwo anständig essen, kaufen uns einen Vorrat Zigaretten, halten uns fein still, im arabischen Quartier gibt es wunderbaren Kaffee für zwanzig Centimes die Tasse, und Tee, mit Minzenblättern parfümiert, der genau soviel kostet. Du lernst ein wenig das Land kennen und hast deinen Spass, ohne dass es dich viel kostet.«
Das war sehr weise gesprochen. Und Dolf folgte mir. Er kam am ersten Tag mit uns, am zweiten auch. Am dritten wartete ich vergebens auf ihn.
Aus den vielen Geschichten, die über die Legion geschrieben worden sind, ist bekannt, dass alte Legionäre, seien sie nun einfache Soldaten oder Gradierte, für junge Leute in der Art des Dolf eine grosse Gefahr bedeuten. Sie biedern sich an (denn sie sind immer auf dem Hund und immer durstig), schmeicheln, und da sie sich eine gewisse primitive Psychologie angeeignet haben, gelingt es ihnen, unschuldige Schäfchen mitzuschleppen, um sie zu verleiten, in ihrer Gesellschaft alles Geld zu versaufen. Es hat's auch einer bei mir probiert – aber nur einmal. Ich hatte immerhin ein Jahr in Paris verlebt, in einer Gesellschaft, die nichts mit den »besseren« Kreisen des Papa Ackermann zu tun hatte, und ich hatte bei meinen Freunden, die gewöhnlich als »lichtscheue Elemente« bezeichnet werden, allerhand gelernt:Kopfstoss unters Kinn und sonst ein paar nützliche Griffe. Dies nur, um zu erklären, dass mich einmal ein alter Legionär ansprach – aber dann nicht wieder. Und vor den Kollegen dieser flüchtigen Bekanntschaft blieb ich verschont.
Dolf war verschwunden. Ich hatte kein zu übles Leben in der Unteroffiziersschule, vier Stunden Dienst am Morgen –
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