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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Kommando im Hof hat er seinem Assistenten, einem Korporal, übergeben. Es geht dort stiller zu, scheint es. Der Korse blickt mich böse an, wie eine Katze, die Lust hat, einem gerade ins Gesicht zu springen; denn er hat so kleine Ohren, dass es aussieht, als lege er die Ohren zurück. Mit viel Gerassel schliesst er Dolfs Zelle auf, schnuppert... Der Rauch hat sich verzogen.
    Dafür schreit er: »Mörder! Raus mit dem Mörder!« Ein ganzer Rosenkranz von Flüchen wird heruntergeleiert – und sie gelten alle dem Sohn des Herrn Kommerzienrat Ackermann aus Frankfurt.
    Schön sieht er nicht aus, der Sohn. Kahlgeschoren, der Kopf voll Schorf. Hebt nicht Cattaneo gerade den Schlüsselbund? Da stehe ich ganz zufällig neben ihm, Gewehr bei Fuss, das Bajonett aus bläulichem Stahl drängt sich, als habe es einen eigenen Willen, zwischen den Herrn Gefängnisdirektor und sein Opfer – da sinkt der Schlüsselbund herab. Danke für den Blick! Dolf trägt einen Khakirock mit hohem Kragen – aber was ist das? Während Dolf in der Tür steht, den vollen Kübel in der Hand, beuge ich mich über den Ärmel.
    Fadenenden, schwarze Fadenenden. Ein, zwei, drei Knöpfe, wie man sie eben in das Fadenende knüpft, wenn man verhindern will, dass der Faden wieder aus dem Stoff rutscht. Am rechten Ärmel ist es deutlich, am linken weniger...
    Was näht man auf einen Ärmel? Zwischen Handgelenkund Ellbogen? Die »Schnüre«, die Abzeichen des Grades. Korporal, Wachtmeister tragen die »Schnüre« zwischen Ellbogen und Handgelenk, Fourier und Feldweibel noch andere zwischen Ellbogen und Schulter. Zwischen Ellbogen und Schulter ist der Ärmel von Dolfs Khakirock glatt. Nicht einmal leere Nadelstiche sind sichtbar, die ja immer entstehen, wenn wir etwas annähen. Wir brauchen dicke Nadeln zum Nähen und nicht feine. Wir sind keine Schneiderinnen...
    Korporal? Sergeant?...
    Dolf scheint nicht gelogen zu haben mit seiner verworrenen Erzählung vom Vertauschen seiner Khakikutte. Die Ärmel blutig, vorn am Rand... Ja, die Militärjustiz arbeitet anders als die Ziviljustiz. Sie lässt dem Angeklagten ruhig das Corpus delicti. Nur das Bajonett wird sie beschlagnahmt haben...
    Sonst noch etwas?
    Der Rock ist umgearbeitet worden. Der Kragen ist höher, als beispielsweise bei meinem Rock, er ist auf Taille geschnitten...
    Eigentlich war meine Inspektion sehr kurz.
    Ich schultere nachlässig das Gewehr und kehre dem Gefängnisdirektor und seinem Opfer den Rücken. Ich habe gar keine Lust, dass mich der Korse auf den Rapport gibt, besonders jetzt könnte ich das durchaus nicht brauchen, heute abend muss ich unbedingt mit Baskakoff sprechen... Mit Baskakoff, dem Juristen... Vielleicht hat er mich angeschwindelt – es wird soviel geschwindelt hier, alle Deutschen sind mindestens Grafen und alle Russen Fürsten oder Prinzen... Vielleicht ist Baskakoff gar kein Fürsprech? Dummes Zeug! Auch Skepsis kann weiter nichts sein als ein Zeichen von Müdigkeit – eine Reaktion...
    Es ist gefährlich, aber ich tue es doch. Um zwei schmuggle ich noch einmal eine Feldflasche ins Gefängnis: halb Wasser, halb Wein. Die Feldflasche hat an der Seite ein dünnes Röhrchen, aus dem man trinken kann, das passt gerade ins Guckloch der Zellentür. Der Dolf bekommt einen leichtenRausch. Aber er ist folgsam und legt sich auf sein Bett... Sein Bett! Ein würfelförmiger Zementklotz, aus dessen rauher Oberfläche scharfe Kieselsteine ragen. Dolf weiss, dass ich seine Angelegenheit mit andern besprechen will...
    Ein Sergeant? Ein Korporal?
    Eher ein Sergeant. Die Korporale der Garnison, die ihre Uniformen zum Umschneidern geben, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen: Pierrard, der Klavierspieler, der nie Dienst tut, weil er den Kindern des Colonels Musikstunden geben muss (Pierrard: 1. Preis des Brüsseler Konservatoriums), Lavery, der Küchenkorporal (passt nicht, ist zu klein); wer noch?...
    Sechs Uhr: Ablösung. Ins Zimmer hinauf, Patronentaschen abgeschnallt, Capotte fortgeworfen. Kein Hunger.
    Am Tor wartet Baskakoff.
    »Hören Sie, Baskakoff, haben Sie von diesem Mordfall gehört? Ackermann?«
    Zuerst sieht sich Baskakoff um, und so habe ich Zeit, ihn wieder einmal in Augenschein zu nehmen. Er ist hässlich. Unzweifelhaft. Eine lange Nase, die vorne dick wird, hängt über seine Lippen, die bläulich angelaufen sind. Schlechte Blutzirkulation. Dazu ist er mager, mit richtigen Kavalleristenbeinen – O-Beinen, besser gesagt. Und ganz zusammenhanglos frage ich

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