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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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ihn:
    »Haben Sie eigentlich bei den Kosaken gedient?«
    Baskakoff nickt schweigend, lässt einen Augenblick Stille herrschen und sagt dann leise: »Ich war He...« und schlägt sich auf den Mund.
    Hetman hat er sagen wollen, denke ich. Ist das nun wieder gelogen (obwohl Baskakoff mich noch nie angelogen hat, soweit ich dies kontrollieren kann) oder... Aber ein Rechtsanwalt Hetman einer Kosaken... Wie sind die Kosaken eingeteilt? In Schwadrone? Gleichgültig. Wir laufen schweigend nebeneinander her.
    Geschminkte Offiziersfrauen führen ihre Männer spazieren – am Tage machen uns diese Männer Angst. Aber jetzt im staubig-heissen Abend sehen sie aus wie blaugestricheneRiesenköter, die brav neben dem »Fraueli« herzotteln. Wo ist die Leine? Unsichtbar.
    »Am besten«, sagt Baskakoff, »wir gehen ins Hammam. Dort kann man ungestört reden. Dorthin verirrt sich kein Europäer.«
    Also, auf ins Dampfbad! Eintritt fünfzig Centimes. Das demokratischste Lokal von ganz Bel-Abbès. Dort hockt der reiche Seidenhändler neben dem Strassenkehrer, der eine seift dem andern den Rücken ein, und der reiche Handelsmann vergilt gleiches mit gleichem. Vor Allah sind alle Menschen gleich. Aber was das Wichtigste ist, im Hammam wird nicht gestohlen.
    Wir schweigen, während wir schwitzen, wir schweigen, während man uns massiert – eine andere Massage ist das, als die in Europa. Ein riesiger Neger renkt uns nach und nach alle Gelenke aus und wieder ein und grinst mit seinen schneeweissen Zähnen. Dann liegen wir auf Alfamatten, und der Besitzer bringt uns eigenhändig eine Tasse Kaffee. Der ist im Badepreis inbegriffen.
    »Der Colonel!« sagt Baskakoff, »hat sich über den Fall Ackermann sehr aufgeregt.« Baskakoff spricht ein ausgezeichnetes Deutsch, er hat sicher lange im Baltikum gelebt. »Aber der Fall ist ihm aus den Händen genommen worden. Erst wenn die Untersuchung reif ist und eine Klage für das Kriegsgericht fällig, wird ihm der Fall unterbreitet werden – vorgekaut, ja. Und was haben Sie von der Sache erfahren?«
    Ich erzähle: Die Überfahrt, Ackermanns Lebens- und Liebesgeschichte und auch vom Kommerzienrat Ackermann in Frankfurt. Baskakoff nickt. Er liegt auf seiner Matte, eingehüllt in ein weiches, weisses Tuch. Sein Hinterkopf ruht, wie der meine, auf einer Rolle, die hart ist wie Holz. So reden wir beide in die leere Luft hinein, aber beileibe nicht aneinander vorbei. Und dann berichte ich von meinen Beobachtungen, von den abgetrennten Schnüren am Rocke Dolfs. Ich bin fertig und schweige.
    Da reckt Baskakoff seine schwarzbehaarte Hand in die Höhe und beginnt aufzuzählen:
    »Dunoyer, Sergeant, erste Kompagnie, dritte Sektion; Veyre, erste Kompagnie, zweite Sektion; Schützendorf, zweite Kompagnie, zweite Sektion; Hassa, zweite Kompagnie, vierte Sektion. Vier Sergeanten mit über zehn Jahren Dienstzeit. Alkoholiker, alle vier. Nie einen Centime Geld im Sack. Und vergessen Sie nicht bei Ihrer Untersuchung: Cattaneo, Sergeant, Prison.« Er sagt Prisong und meint damit das Gefängnis. Ich korrigiere mechanisch und spreche ihm den Nasallaut »on« überdeutlich vor. Er wiederholt, sagt danke, schweigt.
    »Aber, Baskakoff, ich kann doch nicht die Zimmer von fünf Sergeanten durchsuchen!« jammere ich.
    »Es zwingt Sie niemand dazu. Ich dachte nur, Sie wollten Ihrem Freunde helfen.«
    Ich wollte widersprechen: Dolf ist nicht mein Freund. Aber da sind Baskakoffs graue Augen auf mich gerichtet. Merkwürdige Augen, streng, mit einem kleinen Lächeln, das auftaucht, verschwindet, wie der Hals eines Schwanes auf ruhigem Wasser.
    »Ich will Ihnen schon helfen«, sagt Baskakoff. »Wir können in die Kaserne zurück, ich führe Sie zu den Zimmern der vorhin aufgezählten Sergeanten, Sie machen Ihre Untersuchung, während ich draussen Wache stehe. Mir wird niemand etwas vorwerfen, wenn ich meine Kollegen besuchen gehe. Kommen Sie?«
    Es ist erst halb acht, als wir durch das Tor der Kaserne schreiten.
    Was hoffe ich zu finden? Ich weiss es selbst nicht. Angenommen, ein Sergeant hat Dolfs Rock angezogen, dann muss er sich mit einem Mannschaftsrock begnügt haben. A priori, wie die Herren Philosophieprofessoren sagen, von vornherein, wie wir gewöhnliche Sterbliche dies ausdrücken, wäre der Sergeant verdächtig, der einen frisch umgearbeiteten Rock in seinem Spind hätte...
    Dunoyer (tätowiert am ganzen Körper) liegt auf seinemBett. Baskakoff ist die Freundlichkeit selbst. Er lädt den Dunoyer zu einem Liter Wein in die

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