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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Erforschung uns verschafften, nicht wieder gut gemacht werden konnte. Dieser Irrtum war ein Seitenstück zu dem jenes eingebildeten Narren, der da glaubte, die Dinge besser zu erkennen, je näher er sie an seine Augen brächte. Die Leute blendeten sich durch Einzelheiten. Wenn sie nach der Methode Hoggs vorgingen, waren ihre ›Tatsachen‹ immer Tatsachen, das heißt, sie nahmen an, es seien Tatsachen und müßten es sein, weil sie es zu sein schienen.
    Verfuhren sie jedoch nach der Methode des Widders, so war ihr Weg kaum so gerade wie ein Widderhorn, denn sie hatten nie ein Axiom, welches überhaupt eins war. Wie verblendet müssen sie gewesen sein, daß sie dies nicht eingesehen haben; denn schon in ihren Tagen waren manche ›Axiome‹, die lange für solche gegolten hatten, verworfen worden. So hatte man zum Beispiel die Sätze ›Ex nihilo nihil fit‹; ›ein Körper kann nicht wirken, wo er nicht ist‹; ›es können keine Antipoden existieren‹, ›Dunkelheit kann nicht aus Licht entstehen‹ und manche andere, die man früher unbedenklich als Axiome angenommen, selbst zu ihrer Zeit schon als unhaltbar verworfen. Welche Absurdität also von diesen Leuten, trotzdem immer noch an Axiome als an unveränderliche Grundlagen der Wahrheit zu glauben! Selbst aus den Aussprüchen ihrer gesündesten Denker kann man mit Leichtigkeit die Unhaltbarkeit und Ungreifbarkeit ihrer Axiome nachweisen. Wer war ihr bester Logiker? Erlaube einen Augenblick, ich will eben gehen und Pundit fragen, und ich bin in einer Minute wieder zurück …
    Also ich hab’s! Hier ist ein Buch, das vor ungefähr tausend Jahren geschrieben und kürzlich aus dem Englischen, das offenbar die Grundlage zur Amerikanischen Sprache bildete, übersetzt worden ist. Pundit sagt, es sei entschieden das beste Werk auf seinem Gebiete. Der Autor, der seinerzeit sehr geschätzt wurde, war ein gewisser Miller oder Mill; als wichtigen Umstand finden wir noch erwähnt, daß er ein Mühlpferd namens Bentham besessen habe. Doch wollen wir uns einmal in seine Abhandlung vertiefen.
    Aha! – ›Die Fähigkeit oder Unfähigkeit zu begreifen‹, sagt Herr Mill ganz richtig, ›darf in keinem Falle als ein Kriterium der axiomatischen Wahrheit angenommen werden.‹ Welcher moderne Geist würde je daran denken, diese offenkundige Wahrheit zu bestreiten?
    Man muß sich nur wundern, daß Herr Mill es für nötig fand, etwas so auf der Hand liegendes noch extra zu behaupten. So weit ginge die Sache aber noch – schlagen wir eine andere Seite auf. Was steht hier?
    ›Widersprüche können nicht beide richtig sein – das heißt, sie können in der Natur nicht koexistieren.‹
    Hier meint Herr Mill wohl also zum Beispiel, daß ein Baum entweder ein Baum ist oder kein Baum, daß er nicht zu gleicher Zeit ein Baum und kein Baum sein kann. Sehr gut, doch ich frage ihn: warum  nicht?
    Seine Antwort ist und will nichts weiter sein als folgendes:
    ›Weil es unmöglich ist, zu begreifen, daß von zwei Widersprüchen beide wahr seien.‹
    Doch dies ist, wie seine eigene Worte lehren, keine Antwort, denn ›die Fähigkeit oder Unfähigkeit zu begreifen darf in keinem Fal e als ein Kriterium der axiomatischen Wahrheit angenommen werden‹.
    Ich beklage mich jedoch nicht so sehr über diese Alten, weil ihre Logik, wie sie selbst beweisen, jeder Grundlage entbehrt, vollständig wertlos und bloße Spintisiererei ist, sondern viel mehr darüber, daß sie alle anderen Wege zur Wahrheit, alle anderen Mittel zur Erkenntnis, eingebildet und dumm wie sie waren, verneinten und die Seele, die nichts so sehr liebt als zu fliegen , nur zwei Wege einschlagen ließen, auf denen sie entweder kriechen oder krabbeln mußte.
    Übrigens, mein lieber Freund, glaubst Du nicht, daß es diese alten Dogmatiker in ziemliche Verwirrung gebracht haben würde, wenn man sie aufgefordert hätte, zu bestimmen, auf welchem ihrer beiden Wege sie zur Erkenntnis ihrer wichtigsten und erhabensten Wahrheit – ich meine die Wahrheit der Gravitationsgesetze – gelangt sind? Newton verdankt sie Kepler, Kepler gab zu, seine drei Gesetze  erraten zu haben – die drei Grundgesetze, die den großen englischen Mathematiker zur Erkenntnis seines Prinzips geführt, die Grundlage aller physischen Prinzipien, hinter welcher gleich das Reich der Metaphysik beginnt.
    Kepler erriet sie, das heißt seine Phantasie verhalf ihm zu denselben. Er war im wesentlichen ein Theoretiker – dieses Wort, das jetzt einen so guten Klang

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