Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
Lehrgangsteilnehmern in der Vorlesung versicherte, sie würden schon »ihre Butter aufs Brot« bekommen, wenn sie die Hautkrankheiten studieren, – der jede »Politik« wie das Feuer scheute (wer scheute sie übrigens in jenen Jahren nicht!). Bestechlich, ein Lagerspekulant und Kombinator , ewig mit den Dieben zugange, die ihm »Kluften und Buxen« brachten.
Die Diebe hatten Krol längst »auf dem Kieker«, sie schubsten ihn herum, wie sie wollten. Gogoberidse sprach überhaupt nicht mit seinem Chef, er machte seine Sache – Spritzen, Verbände, Verordnungen –, aber trat mit Krol in kein Gespräch ein. Einmal jedoch erfuhr Gogoberidse, dass Krol von einem der Häftlinge – keinem Ganoven, sondern einem
frajer
– Chromlederstiefel dafür verlangt, dass er ihn zur Behandlung in die Abteilung legt, und dass das Schmiergeld schon übergeben wurde. Gogoberidse durchmaß die gesamte Abteilung bis zum Zimmer Krols. Krol saß schon zuhause, das Zimmer war mit einem schweren Riegel versperrt, den ein Kranker kunstvoll für Krol gefertigt hatte. Gogoberidse riss die Tür auf und trat in Krols Zimmer. Sein Gesicht war purpurrot, die Hände zitterten. Gogoberidse brüllte und trompetete wie ein Elefant. Er packte die Stiefel und verbleute Krol mit diesen Chromlederstiefeln vor den Augen der Sanitäter und Kranken. Und gab die Stiefel dem Besitzer zurück. Dann wartete Gogoberidse auf einen Besuch des Arbeitsanweisers oder Kommandanten. Der Kommandant wird den Rowdy natürlich auf Krols Rapport hin in den Isolator setzen, und vielleicht schickt der Lagerchef Gogoberidse zu den allgemeinen körperlichen Arbeiten – in solchen »Straf«fällen konnte das vorgerückte Alter nicht vor Bestrafung retten. Aber Krol erstattete keinen Rapport. Es war für ihn ungünstig, das geringste Licht auf die Spur seiner dunklen Geschäfte zu lenken. Arzt und Feldscher arbeiteten weiter zusammen.
Während des Lehrgangs saß auf der Schulbank neben mir Barateli. Ich weiß nicht, nach welchem Artikel er verurteilt war, ich denke, nicht nach achtundfünfzig. Barateli nannte ihn mir einmal, aber die Strafgesetzbücher drückten sich zu jenen Zeiten so verschlungen aus, dass ich diesen Artikel vergessen habe. Barateli sprach schlecht Russisch und hatte die Aufnahmeprüfung nicht bestanden, aber Gogoberidse arbeitete schon lange im Krankenhaus, er war geachtet und bekannt und konnte erreichen, dass Barateli aufgenommen wurde. Gogoberidse lernte mit ihm, ernährte ihn ein ganzes Jahr von seiner Ration, kaufte ihm Machorka und Zucker, Barateli hatte ein dankbares, warmes Verhältnis zu dem alten Mann. Was auch sonst!
Acht Monate dieses heroischen Lernens waren vergangen. Ich sollte als vollberechtigter Feldscher zur Arbeit in das neue Krankenhaus 500 Kilometer von Magadan fahren.
Ich ging mich von Gogoberidse verabschieden. Und da fragte er mich, ganz ganz langsam:
»Wissen Sie, wo Eschba ist?«
Die Frage wurde im Oktober 1946 gestellt. Eschba, ein namhafter Politiker der Kommunistischen Partei Georgiens, war vor langer Zeit repressiert worden, zu Jeshows Zeiten.
»Eschba ist tot«, sagte ich, »an der Serpantinnaja ist er ganz am Ende des Jahres siebenunddreißig gestorben, vielleicht hat er bis achtunddreißig gelebt. Er war mit mir im Bergwerk ›Partisan‹; und Ende 1937, als es ›losging‹ an der Kolyma, brachte man Eschba unter vielen, vielen anderen ›nach Listen‹ an die Serpantinnaja, wo das Untersuchungsgefängnis der Nördlichen Bergwerksverwaltung war und wo das ganze Jahr achtunddreißig fast ununterbrochen Erschießungen stattfanden.«
»Serpantinnaja«, was für ein Name! Die Straße windet sich dort zwischen den Bergen wie ein Serpentinenband – es waren die Kartographen, die sie so nannten. Sie haben ja bedeutende Rechte. An der Kolyma gibt es auch ein Flüsschen mit dem Foxtrott-Namen »Rio-Rita«, und einen »See der tanzenden Äschen«, und die Quellen »Nechaj« , »Tschekoj« und »Na gut!«. Eine Zerstreuung für Stilisten.
1952 im Winter war ich mit wechselnden Fortbewegungsmitteln unterwegs – Hirsche, Hunde, Pferde, Lastwagenkasten, Fußmarsch und wieder ein Lastwagenkasten – der eines riesigen tschechoslowakischen »Tatra« –, Pferde, Hunde, Hirsche – ins Krankenhaus, in dem ich früher, noch vor einem Jahr, gearbeitet hatte. Hier erfuhr ich auch von den Ärzten jenes Krankenhauses, in dem ich gelernt hatte, dass Gogoberidse – er hatte eine Haftzeit von 15 Jahren plus 5 Aberkennung der bürgerlichen
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