Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
vollkommen kostenlos an der Montage der Dampfheizung arbeitete und als Kranker geführt wurde.
Im Untersuchungsgefängnis, in der Butyrka, wurde über Frauen fast nicht gesprochen. Dort war jeder darauf aus, sich als guter Familienvater vorzustellen – und vielleicht stimmte das auch, und einige Ehefrauen, die nicht Parteimitglied waren, kamen zur Besuchszeit und brachten Geld und bewiesen die Berechtigung von Herzens Einschätzung der Frauen der russischen Gesellschaft nach dem 14. Dezember, die er im ersten Band von »Erlebtes und Gedachtes« gibt.
Hat mit Liebe die Schändung einer Hündin durch einen Ganoven zu tun, mit der der Ganove vor den Augen des gesamten Lagers lebte wie mit einer Frau? Und die verdorbene Hündin wedelte mit dem Schwanz und benahm sich vor jedem Menschen wie eine Prostituierte. Dafür kam man aus irgendeinem Grund nicht vor Gericht, obwohl es ja im Strafgesetzbuch einen Artikel über »Sodomie« gab. Aber viele kamen im Lager für vieles nicht vor Gericht. Nicht vor Gericht kam Doktor Penelopow, ein alter Päderast, dessen Frau der Feldscher Wolodarskij war.
Hat mit dem Thema Liebe das Schicksal einer kleinen Frau zu tun, die niemals inhaftiert war und vor einigen Jahren mit ihrem Mann und zwei Kindern hergekommen war? Ihr Mann wurde totgeschlagen – er war Vorarbeiter und stieß nachts im Dunkeln auf dem Eis an einen eisernen Schrapper, den die Kreiswinde zog, und der Schrapper schlug ihren Mann ins Gesicht, man brachte ihn noch lebend ins Krankenhaus. Der Schlag traf ihn mit voller Wucht ins Gesicht. Sämtliche Gesichts- und Schädelknochen unterhalb der Stirn waren nach hinten verschoben, aber er war noch am Leben, lebte ein paar Tage. Seine Frau blieb mit zwei kleinen Kindern zurück, vier und sechs Jahre, ein Junge und ein Mädchen. Sie heiratete bald wieder, den Förster, und lebte mit ihm drei Jahre in der Tajga, ohne sich in den großen Siedlungen zu zeigen. In den drei Jahren brachte sie zwei weitere Kinder zur Welt, ein Mädchen und einen Jungen – sie entband sie selbst, der Mann reichte ihr mit zitternden Händen die Schere, sie selbst band die Nabelschnur ab und durchschnitt sie und rieb das Nabelschnurende mit Jod ein. Mit vier Kindern blieb sie ein weiteres Jahr in der Tajga, ihr Mann erkältete sich das Ohr, fuhr nicht ins Krankenhaus, er bekam eine eitrige Mittelohrentzündung, dann ging die Entzündung noch tiefer, das Fieber stieg, und er fuhr doch ins Krankenhaus. Er wurde sofort operiert, aber zu spät – er starb. Sie kehrte zurück in den Wald, ohne zu weinen – was helfen Tränen?
Gehört zum Thema das Entsetzen von Igor Wassiljewitsch Glebow, der den Vor- und Vatersnamen seiner eigenen Frau vergessen hatte? Der Frost war streng, die Sterne hoch und leuchtend. Nachts sind die Begleitposten menschlicher – bei Tag haben sie Angst vor der Leitung. Nachts ließen sie uns der Reihe nach zum Wärmen an den Boiler – der Boiler ist der Kessel, in dem Wasser zu Dampf erhitzt wird. Vom Kessel führen Rohre mit heißem Wasser in die Gruben, und dort bohren die Bohrleute mithilfe des Dampfes Löcher ins Gestein – Bohrlöcher, und die Sprengmeister sprengen den Grund. Der Boiler steht in einer Bretterhütte, und dort ist es warm, wenn der Boiler geheizt wird. Boilerwart ist die meistgeneidete Stelle im Bergwerk, der Traum aller. Für diese Arbeit nimmt man auch Leute mit Artikel achtundfünfzig. Die Boilerwarte waren 1938 in allen Bergwerken Ingenieure, den Ganoven mochte die Leitung solche »Technik« lieber nicht anvertrauen, aus Angst vor dem Kartenspiel oder etwas anderem.
Aber Igor Wassiljewitsch Glebow war nicht Boilerwart. Er war Hauer aus unserer Brigade, und bis zum Jahr siebenunddreißig war er Professor für Philosophie an der Leningrader Universität. Frost, Kälte und Hunger hatten ihn dazu gebracht, den Namen seiner Frau zu vergessen. Im Frost kann man nicht denken. Man kann an nichts denken – der Frost nimmt die Gedanken. Darum errichtet man die Lager im Norden.
Igor Wassiljewitsch Glebow stand am Boiler und wärmte, Weste und Hemd mit den Händen hochgezogen, seinen nackten frierenden Bauch am Boiler. Wärmte sich und weinte, und die Tränen erstarrten nicht in den Wimpern und auf den Wangen, wie bei uns allen – im Boiler war es warm. Zwei Wochen später weckte mich Glebow nachts in der Baracke, er strahlte. Er erinnerte sich wieder: Anna Wassiljewna. Und ich schimpfte nicht und bemühte mich, wieder einzuschlafen. Glebow starb im Frühjahr
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