Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
einzige Wunsch des Bachs.
Nach dem Anlauf, zigarrenartig gerollt, fliegt der Aluminiumbach auf in die Luft, springt von der Steilwand in die Luft. Du bist der Leibeigene Nikitka , der sich Flügel ausgedacht, Vogelflügel ausgedacht hat. Du bist Tatlin-Letatlin , der dem Holz die Geheimnisse des Vogelflügels anvertraute. Du bist Lilienthal …
Nach dem Anlauf springt der Bach und kann nicht anders als springen – die anbrandenden Wellen drängen jene zurück, die der Steilwand näher sind.
Er springt in die Luft und zerspringt an der Luft. Die Luft hat, so zeigt sich, die Kraft des Steins, den Widerstand des Steins – nur dem ersten Blick aus der Ferne erscheint die Luft als das »Medium« aus dem Lehrbuch, als freies Medium, in dem man atmen, sich bewegen, leben und fliegen kann.
Man sieht deutlich, wie der kristallene Wasserstrahl an die hellblaue Luftwand, die harte Wand, die Luftwand schlägt. Anschlägt und in Scherben zerspringt – in Spritzer, in Tropfen – und kraftlos aus zehn Metern Höhe in die Felsspalte fällt.
Es erweist sich, dass das gigantische Wasser, das sich gesammelt hat in den Felsspalten, im Anlauf einer Kraft, die ausreicht, um Uferfelsen zu zerschmettern, Bäume mit der Wurzel herauszudrehen und in den Strom zu werfen, Felsen ins Wanken zu bringen und niederzureißen, alles hinwegzufegen auf seinem Weg im Zeichen des Hochwassers, des Stroms – dass diese Kraft zu gering ist, gegen den Widerstand der Luft anzukommen, derselben Luft, die sich so leicht atmet, der Luft, die durchsichtig und nachgiebig ist, nachgiebig bis zur Unsichtbarkeit, und als Symbol einer solchen Freiheit erscheint. Diese Luft, so erweist sich, hat Widerstandskräfte, mit denen sich kein Fels, kein Wasser messen kann.
Spritzer und Tropfen vereinen sich im Nu erneut, fallen wieder, zerspringen wieder und streben kreischend und brüllend dem Flussbett zu – den riesigen Findlingssteinen, geschliffen von Jahrhunderten, Jahrtausenden …
Der Bach kriecht zum Flussbett über tausend kleine Pfade zwischen Findlingen, Steinen und Steinchen, die auch nur anzurühren die Tropfen, Bächlein und Fädchen seines – gebändigten – Wassers fürchten. Der Bach, zersprungen und gebändigt, kriecht langsam und lautlos in den Fluss und beschreibt einen hellen Halbkreis in den dunklen vorübereilenden Wasserfluten. Der Fluss macht sich nichts aus diesem Bach-Letatlin, diesem Bach-Lilienthal. Der Fluss hat keine Zeit zu warten. Trotzdem tritt der Fluss ein wenig zurück und macht Platz für das helle Wasser des zersprungenen Bachs, und man sieht, wie aus der Tiefe, mit einem Blick in den Bach, die Bergäschen zu dem hellen Halbkreis hochsteigen. Die Äschen stehen im dunklen Fluss bei dem hellen Wasserhalbkreis, an der Mündung des Baches. Der Fischfang ist hier immer gut.
1966
Das Feuer bändigen
Ich bin im Feuer gewesen, und nicht nur einmal. Als Junge lief ich durch die Straßen der brennenden Holzstadt, und mein Leben lang erinnere ich mich an die hellen, erleuchteten Tagesstraßen, als ob die Sonne der Stadt nicht genügte und sie selbst um das Feuer gebeten hätte. Der windstille Alarm des heißen hellblauen glühenden Himmels. Die Kraft war im Feuer selbst gespeichert, in der anschwellenden Flamme selbst. Es gab keinen Wind, aber die Stadthäuser brüllten, am ganzen Körper zitternd, und schleuderten brennende Bretter auf die Häuser der anderen Straßenseite.
Innen war es einfach trocken, warm und hell, und ich ging als Junge mühelos, ohne Angst durch diese Straßen, die mich lebend passieren ließen und auf der Stelle völlig niederbrannten. Das gesamte Gebiet auf der anderen Flussseite brannte nieder, und nur der Fluss rettete den Hauptteil der Stadt.
Dieses Gefühl der Ruhe mitten im Feuer erlebte ich auch als Erwachsener. Waldbrände habe ich nicht wenige gesehen. Ich bin durch das heiße, dunkelblaue, üppige, wie ein Gewebe durchglühte meterdicke Moos gelaufen. Habe mich durch den vom Brand niedergeworfenen Lärchenwald geschlagen. Nicht der Wind hatte die Lärchen mit der Wurzel ausgerissen und umgeworfen – das Feuer.
Das Feuer war wie ein Sturm, es erzeugte selbst den Sturm, warf Bäume um, hinterließ in der Tajga auf ewig eine schwarze Spur. Und verfiel dann am Ufer irgendeines Baches in Kraftlosigkeit.
Durch das trockene Gras lief eine helle, gelbe Flamme. Das Gras schwankte und bewegte sich, als glitte eine Schlange hindurch. Aber es gibt keine Schlangen an der Kolyma.
Die gelbe Flamme lief
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