Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
meinem, am Lärchenufer.
Das Flüsschen, über das wir am Morgen gekommen waren, hatte sich längst in ein Ungeheuer verwandelt.
Es wurde dunkel, und ich begriff, dass ich im Dunklen in die Berge gehen und dort den Tagesanbruch erwarten musste, möglichst weit von dem rasenden eisigen Wasser.
Nass bis auf die Haut, jeden Moment ins Wasser stolpernd, im Dunkeln von Erdhöcker zu Erdhöcker springend, schleppte ich die Körbe an den Fuß des Berges.
Die Herbstnacht war schwarz, sternlos und kalt, das dumpfe Brüllen des Flusses verhinderte, dass ich auf Stimmen zu hören versuchte – und wo hätte ich auch irgendeine Stimme hören können.
In einer kleinen Schlucht erstrahlte plötzlich ein Licht, und ich verstand nicht gleich, dass das nicht der Abendstern war, sondern ein Lagerfeuer. Ein Feuer von Geologen? Von Fischern? Von Heumähern? Ich lief Richtung Feuer, ließ die beiden Körbe an einem großen Baum, bis es hell wird, und einen kleinen nahm ich mit.
Die Entfernungen in der Tajga sind trügerisch – eine Hütte, ein Fels, ein Wald, ein Fluss, das Meer können unerwartet nah oder unerwartet fern sein.
Die Entscheidung, ob »ja oder nein«, war einfach. Ein Feuer – da geht man hin, ohne nachzudenken. Das Feuer war eine neue wichtige Kraft in meiner heutigen Nacht. Eine rettende Kraft.
Ich nahm mir vor, unbeirrt weiterzulaufen, mich notfalls vorwärtzutasten – denn es gab das nächtliche Feuer, und also gab es dort Menschen, gab es Leben, gab es Rettung. Ich lief durch die kleine Schlucht und behielt das Feuer im Blick, und nach einer halben Stunde, nach Umrunden eines riesigen Felses, sah ich plötzlich das Lagerfeuer direkt vor mir, oberhalb, auf einem kleinen Felspodest. Das Feuer brannte vor einem Zelt, das flach war wie der Fels. Am Feuer saßen Menschen. Die Menschen schenkten mir nicht die geringste Aufmerksamkeit. Was sie hier tun, fragte ich nicht, sondern ging ans Feuer und wärmte mich.
Der älteste Heumäher wickelte einen schmutzigen Lappen auf und streckte mir stumm ein Stückchen Salz hin, und bald begann das Wasser im Kessel zu winseln, zu springen und weiß zu werden vor Schaum und Hitze.
Ich hatte meinen geschmacklosen Wunderpilz gegessen, dazu siedend heißes Wasser getrunken und mich ein wenig gewärmt. Ich döste am Lagerfeuer, und langsam, unhörbar kam der Tagesanbruch, kam der Tag, und ich machte mich auf zum Ufer, ohne den Heumähern für die Zuflucht zu danken. Meine beiden Körbe am Baum waren über einen Werst zu sehen.
Das Wasser war schon gefallen.
Ich lief durch den Wald und hielt mich an den heil gebliebenen Bäumen mit gebrochenen Ästen und abgerissener Rinde fest.
Ich trat auf Felsstücke, manchmal auf Verwehungen von Bergsand.
Das Gras, das noch wachsen sollte nach dem Sturm, hatte sich tief in den Sand, in den Stein verkrochen und klammerte sich an die Rinde der Bäume.
Ich kam ans Ufer. Ja, das war ein Ufer – ein neues Ufer – und nicht die schwankende Linie des Hochwassers.
Der Fluss strömte, noch schwer vom Regen, aber man sah, dass das Wasser sinkt.
Weit weg, am anderen Ufer, wie an einem anderen Ufer des Lebens, sah ich die Figürchen von Menschen, die mit den Armen winkten. Sah ich das Boot. Ich winkte auch, ich wurde verstanden, erkannt. Das Boot hatten sie auf Stöcken am Ufer entlang hinaufgetragen, bis zwei Kilometer oberhalb der Stelle, an der ich stand. Safonow und Werigin legten wesentlich tiefer bei mir an. Safonow hielt mir die heutige Brotration hin – sechshundert Gramm Brot, aber ich mochte nicht essen.
Ich hatte meine Körbe mit den Wunderpilzen hergeschleppt.
Der Regen, und dann hatte ich ja die Pilze durch den Wald getragen und war nachts an Bäumen hängengeblieben – im Korb lagen nur Bruchstücke, Pilzbruchstücke.
»Wegwerfen?«
»Nein, wieso denn …«
»Wir haben unsere gestern liegenlassen. Haben gerade noch rechtzeitig das Boot weggeschafft. Und von dir dachten wir«, sagte Safonow fest, »man wird uns mehr nach dem Boot fragen als nach dir.«
»Nach mir fragt man nicht viel«, sagte ich.
»Eben, eben. Weder wir noch der Chef fragen viel nach dir, aber nach dem Boot … Habe ich es richtig gemacht?«
»Richtig«, sagte ich.
»Steig ein«, sagte Safonow, »und nimm diese verdammten Körbe.«
Und wir stießen uns vom Ufer ab und begannen die Überfahrt – ein zerbrechlicher Kahn auf dem ungestümen, noch gewittrigen Fluss.
Im Krankenhaus wurde ich ohne Fluchen und ohne Freude empfangen. Safonow hatte recht
Weitere Kostenlose Bücher