Erzählungen
entfernte – und hatten so von Stadium zu Stadium alle die lebenden Formen geboren, die die Erde und den Himmel bevölkerten.
Leider war diese Theorie nicht hieb-und stichfest. Daß die Lebewesen der animalischen und der vegetabilen Welt von Vorfahren aus dem Meer abstammten, das schien für fast alle diese Lebewesen zuzutreffen, aber eben nicht für alle. Es gab in der Tat ein paar Pflanzen und einige Tiere, bei denen es schlechthin ausgeschlossen schien, ihnen Verwandtschaft mit Meertieren nachzuweisen. Das war der eine der schwachen Punkte in Sofrs Theorie.
Der Mensch – und da konnte auch Sofr sich der Tatsache nicht verschließen – der Mensch war der andere schwache Punkt. Zwischen Mensch und Tier schien keine Verwandtschaft nachweisbar. Klar, die Funktionen und Ureigenschaften, wie zum Beispiel die Atmung, die Ernährung und die Bewegungsfähigkeit, waren dieselben und geschahen auf dieselbe Weise oder offenbarten sich als einigermaßen ähnlich, doch da bestand die unüberbrückbare Kluft der äußeren Formen, der Anzahl und Aufteilung der inneren Organe. Wenn sich eine Kette mit nur wenigen fehlenden Gliedern für den Fall der Pflanzen und Tiere für Sofrs Theorie nachweisen ließ, so war anderseits eine entsprechende Verwandtschaft für den Menschen nicht nachweisbar, ja unzulässig. Um die Theorie von der Evolution unbeschadet aufrechterhalten zu können, war man deshalb gezwungen, die frei erfundene Hypothese eines gemeinsamen Stammes für alle Wassertiere zu erfinden und für den Menschen einen Stamm, dessen frühere Daseinsform durch nichts, absolut nichts nachzuweisen war.
Eine kurze Zeit hatte Sofr gehofft, im Erdboden gewisse für seine Theorie günstige Argumente zu finden. Auf seine Anregung hin und unter seiner Führung waren während langer Jahre Grabungen durchgeführt worden, mit dem Resultat, daß die Funde den Erwartungen des Planers diametral entgegenstanden.
Nachdem die oberste dünne Schicht Humus, bestehend aus zersetzten Pflanzen und Tieren, ähnlich denen, die man alle Tage sehen konnte, durchbrochen war, war man auf die dicke marine Lehmschicht gestoßen, wo die Spuren der Vergangenheit ganz anders aussehen. In diesem Lehm gab es nun nichts, das an die gegenwärtige Flora oder Fauna erinnerte, dafür eine Unzahl ausschließlich mariner Fossile, deren Verwandte noch heute hauptsächlich in den Ozeanen um das Mahart-Iten-Schu lebten.
Was war daraus anderes zu schließen, als daß die Geologen recht hatten mit ihrer Behauptung, der Kontinent habe in früheren Zeiten den Boden dieser Ozeane gebildet, und daß Sofr auch nicht unrecht hatte mit seiner These vom Ursprung der zeitgenössischen Flora und Fauna? Denn da die Tierordnungen des Meeres und die auf dem Trockenen lebenden Ordnungen – mit Ausnahme von ein paar derart selten auftretenden Arten, daß man sie als Ungeheuerlichkeiten zu klassieren berechtigt war – die einzigen waren, von denen sich Spuren finden ließen, so waren doch bestimmt diese aus jenen hervorgegangen …
Leider wurden – sehr zum Nachteile dieser Theorie – auch noch andere Funde gemacht. Weit verstreut in der ganzen Dicke des Humus und bis in die oberen Schichten des Lehms fanden sich massenhaft menschliche Knochen. Nichts Außerordentliches konnte aus den Skelettfragmenten abgeleitet werden, und Sofr mußte seine Suche nach den Zwischengliedern aufgeben, die seine Theorie bestätigt hätten: Die Knochenreste waren menschlicher Herkunft, nichts mehr, nichts weniger.
Etwas bemerkenswert Eigenartiges ließ sich immerhin recht bald feststellen: Von einer bestimmten Epoche an, die sich möglicherweise auf etwa zwei-bis dreitausend Jahre rückwärts schätzen ließ, das heißt entsprechend dem Alter der aufgefundenen Knochenreste, wurden die menschlichen Schädel kleiner. Im Gegensatz dazu war festzustellen, daß
vor
der eben erwähnten Zeitspanne – je weiter man also in die Urzeit vordrang – die Schädel wieder größer waren, folglich auch die Hirnmasse, die sie beherbergt hatten. Die maximale Größe fand sich ausgerechnet unter den im übrigen sehr seltenen Überresten der obersten Lehmschicht. Die gewissenhafte Untersuchung jener ehrwürdigen Überbleibsel gestattete keinen Zweifel daran, daß die Menschen jener fernen Epoche eine ihren Nachkommen weit überlegene Hirnmasse aufzuweisen hatten – nicht ausgenommen die Zeitgenossen des Zartog Sofr. Infolgedessen mußte während hundertsechzig oder hundertsiebenzig Jahrhunderten eine Regression
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