Erzählungen
Erregung zu zittern und rannte mit seinem Fund ins Laboratorium, wo er sich einschloß und sich nun ganz dem kostbaren Dokument zu widmen begann.
Doch! das waren eindeutig Schriftzeichen! Anderseits war er ebenso sicher, daß diese Schrift keiner der ihm bekannten glich, die seit der Menschheitsgeschichte irgendwo auf Erden praktiziert worden war.
Wo kam dieses Dokument her? Was bedeutete es? Das waren die zwei Fragen, die sich Sofrs Gehirn aufdrängten.
Konnte er die erste beantworten, dann war die Antwort auf die zweite einfach. Er mußte also erst einmal lesen können – dann übersetzen. Denn es war
a priori
anzunehmen, daß die Sprache des Dokumentes ebenso fremd sein würde wie dessen Schrift.
Das sollte doch nicht unmöglich sein? Der Zartog Sofr machte sich sogleich an die Arbeit, denn er war sicher, daß die Schrift entziffert werden konnte.
Lange Jahre dauerte diese Arbeit. Sofr gab nicht nach. Ohne sich je entmutigen zu lassen, verfolgte er methodisch das Studium des geheimnisvollen Dokuments, und Schritt für Schritt begann er klar zu sehen. Endlich kam der Tag, an dem er unter großem Zögern und vielen Schwierigkeiten das Dokument in die Sprache der
Menschen der vier Meere
zu übersetzen vermochte.
Nun, als dieser Tag endlich da war, las der Zartog Sofr-Aï-Sr das Folgende:
Rosario, den 24. Mai 2 ….
Ich setze diese Art Datum vor den Beginn meiner Erzählung, obgleich sie in Tat und Wahrheit viel neueren Datums ist und auch anderswo spielt. Doch wenn es sich um dergleichen Dinge handelt, ist die Reihenfolge imperativ gegeben, und deshalb habe ich mich auch für die Form des
journal
entschlossen, das einen Tag-für-Tag-Bericht erstattet.
Am 24. Mai also beginnt die Wiedergabe der schrecklichen Ereignisse, die ich hier für die nach mir Kommenden niederzuschreiben gedenke, falls die Menschheit noch das Recht hat, auf irgendeine Zukunft zu zählen.
In welcher Sprache soll ich schreiben? Englisch, Spanisch, die ich beide fließend spreche? Nein! Ich schreibe in der Sprache meiner Heimat: Französisch.
An jenem 24. Mai hatte ich ein paar Freunde in meine Villa nach Rosario eingeladen.
Rosario ist – oder, vielmehr, war – eine mexikanische Stadt am Ufer des Pazifischen Ozeans, ein wenig südlich des Golfs von Kalifornien. Zehn Jahre vorher hatte ich mich dort niedergelassen, um die Leitung einer Silbermine, die ich erworben hatte, persönlich zu übernehmen. Meine Geschäfte hatten ganz plötzlich einen unerhörten Aufschwung genommen. Ich war zum reichen, zum sehr reichen Mann geworden – wie lächerlich mich das heute dünkt! –, und ich hatte schon Pläne für meine baldige Rückkehr nach Frankreich, in mein Heimatland, geschmiedet.
Mein Landhaus – eines der luxuriösesten in dieser Gegend – stand auf dem höchsten Punkt eines großen Parks, der sanft gegen das Meer abfiel, dann aber in einem jähen Felsabsturz von über hundert Metern sein Ende fand; hinter dem Landhaus stieg das Terrain wieder an, und man konnte auf gewundenen Pfaden den Berggrat, der über fünfzehnhundert Meter Höhe aufwies, erreichen. Das war für mich oft ein angenehmer Spaziergang – zwar hatte ich den Aufstieg auch etwa mit meinem Wagen bewältigt – ein ausgezeichneter und starker Phaeton war’s, mit einem Fünfunddreißig-Pferdestärken-Motor, eine der allerbesten französischen Marken.
Ich wohnte in Rosario mit meinem Sohn zusammen, einem hübschen Kerl von zwanzig Jahren, als weit entfernte Blutsverwandte von uns starben und ich deren Tochter Helene – die ich sehr gerne hatte – zu uns ins Haus nahm. Sie war eine mittellose Waise. Seit jenem Todesfall waren nun fünf Jahre verstrichen. Mein Sohn Jean war jetzt fünfundzwanzig, mein Mündel Helene zwanzig. In meinem Herzen hatte ich die beiden füreinander bestimmt.
Unser Hauspersonal bestand aus dem Kammerdiener Germain, aus Modeste Simonat, dem in allen Situationen tüchtigen Chauffeur, und aus zwei Stubenmädchen namens Edith und Mary. Sie waren die Töchter meines Gärtners, George Raleigh, und dessen Ehefrau Anna.
An jenem 24. Mai saßen wir zu acht um meinen Eßtisch herum, im Scheine von elektrischen Lampen, die ihren Strom aus Elementen in meinem Garten bezogen. Außer dem Hausherrn waren zugegen: sein Sohn und sein Mündel, dann fünf andere Tischgenossen, von denen drei zur angelsächsischen Rasse und zwei zur mexikanischen gehörten.
Dr. Bathurst war unter jenen, Dr. Moreno unter diesen. Sie waren beide Gelehrte im wahrsten
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