Erzählungen
er nicht erkannt hätte, auf wie schwachen Füßen seine Theorie stand, wenn man sie vom Standpunkt der Entstehung und Wandlung des Menschen aus betrachtete. Die Tatsachen auf eine vorläufige Hypothese zurechtzubiegen, den andern gegenüber recht zu behalten, heißt eben noch nicht, vor sich selber recht zu haben …
Wäre Sofr kein wirklicher Gelehrter gewesen – und er war ein sehr bedeutender sogar –, wenn er zu den Ungebildeten gehört hätte, dann wäre er nicht in einem derartigen Dilemma gewesen. Denn das breite Volk verlor sich nicht in tiefen Spekulationen, sondern war es zufrieden, mit geschlossenen Augen die alte Legende als wahr zu akzeptieren, daß man sich seit undenklichen Zeiten vom Vater auf den Sohn fortpflanzte. Und wenn es darum ging, das Geheimnis der Entstehung des Menschen zu erklären, dann nahm das Volk ein anderes Geheimnis zu Hilfe: die überirdische Macht. Eines schönen Tages hatte diese überirdische Macht aus dem Nichts Hedom und Hiva erschaffen, den ersten Mann und die erste Frau, deren Nachkommen dann die Erde zu bevölkern begannen. So reihte sich eines ganz einfach an das nächste.
Allzu einfach! dachte Sofr. Wenn man am Rande des Begreifens ist, dann ist es natürlich etwas sehr Einfaches, die Gottheit zu Hilfe zu holen: so wird es aber auch sinnlos, die Rätsel des Universums zu lösen, denn in dieser Weise sind sie, kaum gestellt, auch schon aus der Welt geschafft.
Wenn doch wenigstens die Volkslegende auch nur den Anschein einer seriösen Grundlage besessen hätte! … Doch sie hing in der Luft. Es war nichts als eine Tradition aus den Zeitaltern der Dummheit, die sich dann von Ära zu Ära weitervererbte. Bis der Name
Hedom!
auftauchte … Woher dieses bizarre Wortgebilde mit dem fremden Klang, das gar nicht zu der Sprache der Andart’-Iten-Schu zu gehören schien? An dieser einzigen philologischen Schwierigkeit war eine Unzahl von Wissenschaftlern bleich und sprachlos hängen geblieben, ohne eine befriedigende Antwort darauf zu finden … Quatsch! Hirngespinste sind das, unwürdig, das Interesse eines Zartog zu erwecken! …
Gereizt begab sich Sofr in seinen Garten hinunter. Überdies pflegte er das zu dieser Stunde immer zu tun. Die sinkende Sonne brannte nun weniger unbarmherzig herunter, und eine feuchte Brise hatte sich vom Spone-Schu her erhoben. Der Zartog schlenderte durch die Alleen, im Schatten der Bäume, deren Blätter im Meerwinde raschelten, und ganz allmählich beruhigten sich seine Nerven, und er fand sein Gleichgewicht wieder. Es gelang ihm auch, seine quälenden Gedanken abzuschütteln, die Luft im Freien zu genießen, Freude an den reifenden Früchten und dem üppigen Garten mit seinen vielen Blumen in ihrer ganzen Pracht zu empfinden.
Zufälligerweise führte ihn sein Spaziergang in die Nähe seines Hauses, wo eine größere Ausgrabung begonnen war. Viele Geräte lagen am Rande der aufgeworfenen Grube. Hier sollte nächstens sein neues Laboratorium erstehen, das er zweimal so groß wie das frühere bauen lassen wollte. An diesem Feiertage jedoch hatten die Erdarbeiter ihre Arbeit im Stich gelassen, um sich dem Vergnügen zu widmen.
Sofr schätzte eben die bereits geleistete und noch zu besorgende Arbeit in Gedanken ab – als ihm aus dem Halbdunkel der Grube ein glänzendes Etwas entgegenleuchtete. Das packte ihn, und er stieg auf den Boden der ausgehobenen Grube, wo er ein ganz eigenartiges Ding von der es zur Hälfte bedeckenden Erde befreite.
Sofr stieg mit seinem Fund wieder an die Oberfläche und besah sich das Ding aus der Nähe. Es war eine Art Behälter aus einem ihm unbekannten Metall, grau, körnig, das vom langen Ruhen in der Erde stumpf geworden war. Ungefähr in einem Drittel seiner Gesamtlänge befand sich eine Kerbe, die andeutete, daß der Behälter aus zwei ineinandergefügten Teilen bestand. Sofr versuchte ihn dort zu öffnen.
Schon beim ersten Versuch löste sich das vom Zahn der Zeit zermürbte Metall in Staub auf und enthüllte den zweiten, darin enthaltenen Gegenstand.
Die Substanz dieses zweiten Gegenstandes war dem Zartog so unbekannt wie das Metall der Hülle, das ihn bis jetzt beschützt hatte. Es kam eine Rolle von übereinanderliegenden Blättern zum Vorschein, die mit eigenartigen Zeichen beschriftet schienen. Doch nach der Regelmäßigkeit der Zeichen mußte es sich wohl um eine Schrift handeln. Eine allerdings unbekannte Schrift, wie Sofr sie nie zuvor gesehen hatte. Auch annähernd nicht.
Der Zartog begann vor
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