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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Nasenbein gespalten, wie er im Dunkeln auf die Schlafzimmertür aufg’rennt is!“
    Der Häfner-Wolfgang hörte es und schrie lauter. Tränen mischten sich mit dem Blut und rannen in einem lebhaften Strom nasenabwärts. Irgend jemand brachte ein Taschentuch zum Vorschein; es sah aus, als ob es wochenlàng zum Schuhputzen und Herdkehren benutzt worden sei.
    „Wenn man ihn vielleicht waschen tat...“, schlug der Taschentuchbesitzer vor. — Die Friedl packte ihren kleinen Bruder und zerrte ihn zur Ache hinunter. Der Wolferl heulte noch lauter. Gewaschen zu werden, das hatte ihm zu allem Unglück gerade noch gefehlt! — Die anderen Kinder, es mochten sich inzwischen fünfzehn oder gar noch mehr eingefunden haben, folgten langsam nach, um sich die interessante Prozedur der Wundbehandlung nicht entgehen zu lassen. Der Pflanz-Sepp taumelte ganz vorne dran mit und lallte aufgeregt, seine langen Arme zuckten durch die Luft.
    Es war der Augenblick, in dem die Kinder des Mannes mit dem grünen Rucksack zum erstenmal gewahr wurden. Es war ein alter Mann mit einem struppigen Schnurrbart von der Farbe graurötlicher Torfasche, dessen Fransen ihm über die Lippen hingen. Kinn und Wangen bedeckte ein graugelber Stoppelbart. In der rechten Tasche der verbeulten, dicken Winterjoppe, die er seit Jahren nicht abgelegt zu haben schien, stak eine sorgsam verkorkte Flasche. In seiner Nähe roch es abscheulich schweißig und alkoholisch. Er ging an den Kindern vorüber, als ob sie Luft wären, und hielt die Augen auf den Böden geheftet, als suche er etwas. Er brummelte dabei, und an dem Zeigefinger seiner linken Hand baumelte ein Stück starker Bindfaden.
    Drunten am Fluß tauchte Friedl das Taschentuch ins Wasser. Es ging eine ziemlich trübe Brühe ab, und sie schwenkte es nach Wäscherinnenart ein Weilchen hin und her, ehe sie ihrem Bruder das Gesicht säuberte. Er wimmerte nur noch so vor sich hin und vollendete ihr Werk, indem er sich fleißig die Oberlippe fast bis zur Nase hinauf ableckte. Sie hatte bereits zu bluten aufgehört, nur aus der Kniewunde rann noch immer ein roter Faden in die Strümpfe hinein.
    „Setz dich her, Wolfi, dann zieh ich dir die Schuh und Strümpf aus, und dann steigst ins Wasser, gel, und bist sauber. Derweil wasch ich den blutigen Strumpf aus, und bis wir heimkommen, ist er trocken und die Mama merkt von nix was...“
    Er ließ sich schwerverwundet am sanft abfallenden Ufer nieder und duldete es, daß Friedl ihm die Schuhbänder löste.
    „Ob dees Wasser kalt is...?“ fragte er schnüffelnd.
    „Geh zu! Kalt wird es sein… wo die Sonn scheint!“
    Die Sonne schien wirklich, eine prickelnd warme Frühlingssonne, aber die Ache sah trotz Sonne und seidigblauem Aprilhimmel noch wenig einladend aus.
    Der alte Mann schien inzwischen gefunden zu haben, wonach er gesucht hatte. Er war auf den Stein gestoßen, der vor wenigen Minuten für Wolfi zum Stein des Anstoßes geworden war. Er wog ihn prüfend in der Hand, nahm ihn zum Ufer mit und begann, die Schnur um den Stein zu wickeln und zu verknoten, dergestalt, daß hinter dem Knoten zwei etwa gleich lange Enden übrigblieben. — Die Kinder wurden allmählich auf sein Treiben aufmerksam, selbst den Häfner-Wolfi lenkte es von seinem Schmerz und von der eisigen Berührung des Wassers mit seiner Haut ab. Der Alte mochte die Blicke in seinem Rücken spüren. Er warf den Kindern aus seinen wimperlosen, entzündeten Trinkeraugen einen mürrischen Blick zu, packte den Betonbrocken mit seinen hornigen Fingern und schlurfte krumm und geduckt weiter flußabwärts. Die Kinder starrten ihm mißtrauisch nach.
    Etwas wie eine Ahnung von kommendem Unheil ließ sie stumm verharren und den alten Trunkenbold mit den Augen verfolgen. Sie sahen, wie er vierzig oder fünfzig Schritt weiter am Ufer stehenblieb und den Rucksack von den Schultern zu streifen begann.
    — Eines von ihnen tat den ersten Schritt, und die andern rückten wie eine Mauer nach, tim genau wie bei dem alten Kinderspiel ,Ochs am Berg’ in dem Moment, in dem der Alte sich umdrehte, bewegungslos zu erstarren. Es waren vierzehn Kinder ohne den Pflanz-Sepp und ohne die Friedl und den Wolferl Hafner, die noch immer unten am Wasser standen.
    Der alte Landstreicher hatte inzwischen den Rucksack geöffnet und griff mit der Hand bis zum Ellenbogen hinein. Als er sie wieder herauszog, zappelte zwischen seinen unbarmherzigen Fingern ein kleiner, schwarzer Wolleball, nicht viel größer als zwei Mannerfäuste und

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