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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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hervor und riß ihm den Hörer aus der Hand. „He! Hallo! Was ist da passiert?!“ brüllte er in den Apparat. Und häufige Einwürfe wie „Nanana! Machen’s G’schichten!“ oder „Machen’s Sach’n!“ einstreuend, nahm er den Bericht zum zweitenmal ab. Und als er schließlich einhängte, warf er Lothar Lockner über den Zwickerrand hinweg einen merkwürdigen Blick zu: „Ich muß schon sagen. Sie fangen hier ja gut an!“ Es klang, als mache er seinen Redakteur für die Ereignisse verantwortlich, die sich auf den Achenauen abgespielt hatten.
    „Ich habe noch ein paar Zeilen zu schreiben. Gestern tagten die Taubenzüchter im „Eisernen Kreuz’..
    „Ach was! Der Schmarrn pressiert nicht!“ entschied der Alte. Man sah es ihm an, daß er am liebsten selber mitgelaufen wäre, aber der Blasebalg langte nicht mehr, er trug ihn schon mühsam genug durchs Haus und in die Setzerei hinauf.
    Lothar Lockner warf einen Blick auf die Uhr und schlüpfte in seinen Mantel: „Vielleicht bekommen wir die Geschichte noch ‘rein. Würden Sie, bitte, dem Wastl sagen, daß er das Zeug hier fertigmachen soll... Der Satz steht bis auf ein paar Kleinigkeiten. Er soll ihn sich daraufhin anschauen, was man ‘rauswerfen kann, falls ich Platz brauche. Hundert Zeilen etwa...“
    „Ich mach das selber, — hauen Sie schon ab!“
    Ein toter Mann... na, immerhin eine Rosine in dem ziemlich trockenen Kuchen, den man heute den Abonnenten des Anzeigers vorsetzen konnte. —

    *

    Die Kinder drückten sich die Nasen an dem Schaufenster der Metzgerei platt. Es waren ziemlich viele Kunden im Laden, Frauen und Dienstmägde, die einen Aufschnitt für das Abendbrot, Knochen für die Suppe oder ein Stück Fleisch ab wiegen ließen. Frau Pflanz, rosig und adrett, mit viel Busen in der gebauschten, schneeweißen Schürze, bediente die elektrische Aufschnittmaschine und die Kasse. Eine Verkäuferin mit weißem Häubchen auf dem Haar packte das Fleisch ein und rief ihr den Preis zu. Und der Pflanz, mit aufgekrempelten Hemdärmeln und blutigem Schurz, stand am Hackstock. Blitzenden Auges, die breite Brust vorgewölbt, den Bauch straff eingezogen und auf den Fersen wippend, spreizte er sich wie ein Hahn vor der Weiberschar und schäkerte mit den strammen Mägden, während er sein blutiges Gewerbe mit Meisterschaft ausübte.
    „Ah, da schau her, das Fräulein Zenzi... das Zenzerl... du magst es net glauben, täglich wird das Madl hübscher!“ Seine rote Zungenspitze fuhr lüstern über die Lippen und er schmatzte, als söge er sich den Bierschaum aus dem Schnurrbart. Das Zenzerl lief in Gesicht und Nacken und noch weiter hinab purpurrot an und kicherte verschämt. Dazwischen ertönte die Stimme von Frau Pflanz gleichmäßig liebenswürdig aus einem etwas maskenhaften Gesicht: „Zweimarkachtzige — hams parsend? Ich dank recht schön — auf Wiedersehn — beehren Sie uns recht bald wieder...“
    Und der Pflanz: „So Zenzerl, mein Herzipopperl, was soll’s denn heut sein? Ein Stückerl Suppenfleisch? Ist schon recht... da hätt ich grad a Schwanzstückerl in der Hand — zart wie Butter... da schau es dir amal an, Zenzerl, und sag mir genau, wie du es lieber magst... von vorn oder von hinten?“
    „Von vorn, wenn’s geht, Herr Pflanz...“
    „Da schau her! Von vom...“ Und während es das Zenzerl wie Blut übergoß, und während die andern Mädel kicherten und sich in die Rippen stießen, ertönte es von der Kasse her starr und gleichmäßig höflich: „Dreimarksechzige — hams passend? — ich bin so frei — danke sehr — beehren Sie uns bald wieder.“
    Es war fast täglich der gleiche Vorgang und der gleiche Dialog, nur die Kinder wechselten von Jahr zu Jahr, die den Pflanz-Buben abholten und ihn gegen das obligate Paket mit Wurstresten und das ,Fuchzgerl’ für Semmeln oder Eiwecken mitnahmen und mitspielen ließen. Es war mit dem Pflanz-Sepp nicht viel anzufangen, man verstand ihn schlecht und er war auch ziemlich grob, wenn er einmal zupackte; aber meistens genügte es ihm schon, wenn er mitkommen, dabeisitzen und mitschreien konnte, wenn die Kinder Fangermanndl oder Verstecken spielten. Er taumelte auf seinen gekrümmten Beinen, an denen die Füße nicht recht fest in den Gelenken zu sitzen schienen, hinter den Kindern drein, brabbelte, wenn sie schwatzten und stieß schrille Kehltöne aus, wenn sie juchzten.
    In diesem Jahr hatten sie etwas ganz Neues erfunden. Sie nannten es „Phantasiespiele“. Der hochtrabende, aus ihrer

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