Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
gewöhnlichen Umgangssprache gänzlich herausfallende Name stammte von Leo Plischke, einem blassen, etwas spinösen Buben von fast zwölf Jahren, der unverkennbar sächselte, denn seine Eltern waren erst vor wenigen Jahren nach Aldenberg verschlagen worden. Er war ein merkwürdiger Bursche, der seine Geschwister mit selbsterfundenen Geschichten ängstigte, in denen zwei Gespenster namens Saburra und Gnotzel eine hervorragende Rolle spielten.
    Was sich eigentlich hinter den ,Phantasiespielen’ verbarg, zu denen die Kinder nun, seit das Frühjahrswetter es zuließ, täglich nach rascher Erledigung ihrer Schularbeiten zu den Achenauen stürzten, das bekamen die Erwachsenen nie so recht heraus. Spaziergänger, die sich in diese Gegend verirrten, in der die Ache an Schuttabladeplätzen und Kieshalden vorbeiströmte, sahen, daß sie mit Absätzen und Stöcken Zeichnungen in den Boden ritzten, die wie Hausgrundrisse aussahen — und hörten, daß sie sich erhitzt die Namen von Burgen, Schlössern und Palästen zuriefen. Es schien sich bei alledem um eine Art von dramatisierten Märchen aus Tausendundeiner Nacht oder um romantisch-abenteuerliche Rittergeschichten der Artussage zu handeln, bei denen Leo Plischke die Rolle des Regisseurs innehatte. Daß die Kinder dabei — mochten ihre Dramen sich auch in den Verliesen mittelalterlicher Burgen abspielen — die Errungenschaften der modernen Technik nicht missen wollten, konnte man sehen und hören, wenn sie mit ausgebreiteten Armen als Flugzeuge heranbrausten, auf die Paläste von Gold und Silber Bomben und Brandkanister abwarfen, und die gefangenen Prinzessinnen auf ihren Fahrrädern in die Freiheit entführten, wobei sie kräftig am rechten Handgriff der Lenkstange kurbelten und mit den Lippen den ohrenbetäubenden Lärm dahindonnernder Rennmaschinen nachahmten — mit fast naturgetreuer Wiedergabe der Lautstärke. Hierin übertraf der Pflanz-Bub fast noch die anderen Kinder.
    Der Mord wäre lautlos und unbemerkt in ihrer unmittelbaren Nähe geschehen, wenn sich der Häfner-Wolfi nicht im entscheidenden Augenblick Nase und Knie blutig gestoßen hätte. Er brauste als Düsenjäger mit Überschallgeschwindigkeit heran, um die blonde Prinzessin Melusine aus den Klauen des Ogers zu befreien oder ihr wenigstens an einem Fallschirm Nachricht zukommen zu lassen, daß der Retter nahe, — da hemmte ein vom Schuttabladeplatz verirrter Betonbrocken seinen rasanten Sturzflug, und er strandete mit einer unbeabsichtigten Bauchlandung auf der Mauer des Oger-Palastes. Zwar bestand die Mauer nur in der Einbildung der Kinder, aber auch der Boden war hart genug, um in die rechte Kniescheibe ein Loch zu reißen, das sofort heftig zu bluten begann, — und er war auch zu hart für die Nase.
    Kleine Unfälle waren nichts, was die Kinder veranlassen konnte, ihr Spiel zu unterbrechen. Nur der Pflanz-Sepp torkelte heran, tappte mit dem Finger an die Wunde und seiferte ein wenig stärker als sonst aus den Mundwinkeln. Die ,Phantasiespiele’ der Kinder waren gerade auf einem dramatischen Höhepunkt angelangt; aber erst, als das Blut von der Nase über Mund und Kinn und vom Knie auf die Schuhe zu tropfen begann und als Wolfi bei diesem Anblick ein mörderisches Geschrei erhob, fühlte sich seine Schwester Friedl veranlaßt, einmal hinzuschauen. Bis dahin hatte sie als Gemahlin des Ogers, den der Knabe Leo Plischke in eigener Person mit beachtlicher Grausamkeit spielte, die Beine der gefangenen Prinzessin Melusine auf schikanöse Weise mit jungen Brennesseln gekitzelt.
    Obwohl sie sich beeilte, ihrem schreienden Bruder zu Hilfe zu kommen, dachte sie nicht daran, einfach zu ihm hinzurennen. Als ob der Traumpalast mit seinen düsteren Kerkern im Keller und den leuchtenden Prunkhallen zu ebener Erde wirklich bestände, hob sie eine schwere Falltür an, schlüpfte wie ein Aal hindurch, legte noch einen Stein darauf und rannte durch die ziemlich verzwickt angelegten Palastgemächer und durch den Hauptausgang ins Freie. Auch die anderen Kinder unterbrachen ihr Spiel und krochen aus imaginären Felsenhöhlen, Türmen, unterirdischen Verliesen und hohen Burgkemenaten langsam heran und bildeten um den blutenden Flieger einen Ring von Sachverständigen.
    „Man müßt ihm ins Gnack schlagn, dann hört sich die Nas z’bluaten auf...“
    „Mei Bruder hat sich den Arm brochen, wie er vom Radi gfalln is. Den hams glei mit’n Sanitätswagen ins Spital bracht...“
    „Ha, und mei Vater hat sich gleich’s

Weitere Kostenlose Bücher