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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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heimmarschiert, bis sein Geheul nächtliche Bummler herbeizog. Auch sie hatten zunächst vergeblich versucht, die inzwischen zu Gurkengröße angeschwollene Nase vollends durch das Getriebe zu drehen; aber da sie Rösch dabei fast das Genick gebrochen hätten, war ihnen nichts anderes übriggeblieben, als in der Werkzeugtasche des Fahrrads nach einem Schraubenzieher zu suchen, um die Kettenschraube zu lösen. So war die Befreiung denn auch endlich gelungen, und das Nasenspitzl war drangeblieben, aber es war seitdem schneeweiß und in einem Ring blaurot wuchernden Heisches scharf nach links abgeknickt.
    Lothar Lockners Verdacht, der junge Kerschbaumer könne infolge allzu reichlichen Alkoholgenusses sein Erinnerungsvermögen eingebüßt haben, war unbegründet. Wastl hatte ihn nicht vergessen. Daß es ihm dennoch schwerfiel, sich loszureißen, hatte andere Gründe. Er war verliebt, und die junge Dame, die ihn in diesen wunderbaren Zustand versetzt hatte, war eine der vier Brautjungfern. Sie hieß Irmgard und war neunzehn Jahre alt, dazu blond wie ein Engel und ebenso bildhübsch, und außerdem die Tochter des Direktors Schimmelpfeng von der Steingassinger Schloßbrauerei.
    „Also für eine Stunde, Herr Lockner, — ich kann mich doch auf Sie verlassen, wie?“
    Lothar Lockner versprach ihm, auf die Minute pünktlich zu sein. Sie wechselten die Anzüge, Lockner knüpfte die schwarze Schleife in seinen weißen Hemdkragen, die Jacke spannte ein wenig über der Brust und in den Schultern und die Hosen waren um zwei Zentimeter zu kurz, aber das waren kleine Schönheitsfehler, die nur der bemerkte, der in dem Smoking drinsteckte und ein wenig flach atmen mußte, um den Doppelknopf nicht zu sprengen.
    Im ,Lamm’ haute der Klavierspieler von der Dreimannkapelle gerade, als Lothar Lockner den Festsaal betrat, einen Tusch auf die Tasten und verkündete, daß jetzt die Weißwürste kämen. Sie wurden von allen Anwesenden mit Begeisterung begrüßt, denn die Tänzer waren hungrig geworden, und die anderen Herrschaften, die sich mehr an die Getränke gehalten hatten, brauchten einen sanften Magendämpfer. In einer Art Polonäse marschierten die Hochzeitsgäste an dem Musikpodium vorbei, wo die Weißwürste aus dampfenden Terrinen verteilt wurden. In dem niedrigen Saal herrschte die Temperatur eines Treibhauses, und der Zigarrenrauch beizte die Augen und wogte in Schwaden zu den machtlosen Ventilatoren.
    Lothar Lockner verzichtete darauf, sich in der Weißwurstpolonäse anzustellen. Er bummelte durch den Tanzsaal und durch die Nebenräume des ,Lamm’, ohne das Organdykleid und die reizende Trägerin zu entdecken, derentwegen er sich in den fremden Anzug gezwängt hatte. Obwohl er noch keine zwei Monate lang in Aldenberg lebte und wirkte, kannte er doch schon eine Menge Leute und war gezwungen, nach allen Seiten zu grüßen. Sein spätes Erscheinen fiel nicht weiter auf; Zeitungsleute hatten eben eine andere Tageseinteilung als die übrige Menschheit. Der Pflanz in einem vornehmen Cutaway mit gestreifter Hose und rostbrauner Phantasieweste steuerte quer durch den Saal auf ihn zu.
    „Ah, der Herr Redakteur! — Die jungen Leute haben sich schon ins Brautgemach zurückgezogen...“ Er blinzelte und leckte sich auch mit dem roten Zungenspitzl über die Lippen, aber es geschah gewohnheitsmäßig und ohne inneren Schwung; dem Faun waren die kleinen Bockshörner gebrochen. — „Haben Sie schon meine Weißwürscht probiert, Herr Lockner? Noch nicht? Dann wird’s aber höchste Zeit. Oder suchen Sie jemand, ha?“ — Er kratzte an einem kleinen Flecken herum, den der junge Kerschbaumer auf dem rechten Seidenrevers seines Smokings hinterlassen hatte, und Lothar Lockner hätte wetten mögen, daß der Pflanz längst durchschaut hatte, woher der Anzug stammte. „Nobel, richtig nobel sehen Sie aus, Herr Lockner“, murmelte er, „aber es war auch eine noble Hochzeit, gel? Wie bei der Elisabeth von England, wie? Eine hübsche Person, die Königin... Aber meine Elisabeth! Ausgeschaut hat das Madl, daß einem ganz warm ums Herz geworden ist, wie? Und die Brautjungfern... einfach zum Anbeißen! — Übrigens — das Hannerl, no, Sie wissen schon, das Klapfenberg Hannerl, hab ich grad droben in der Garderobe gesehen, und wenn mich nicht alles täuscht, dann wollte sie heimgehen...“ Er gab Lothar Lockner eine kleine Drehung nach links und flüsterte dabei, als wären sie Verschworene: „Die Damengarderobe ist oben im ersten Stock, Zimmer

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