Es bleibt natürlich unter uns
Moment kam dem Pflanz die rettende Idee. Er hatte sich als Bub einmal an einer Flasche mit der Zunge so festgesogen, daß man das Glas zerschlagen mußte, um ihn zu befreien. Und hier lag das gleiche physikalische Prinzip vor! Dieser Koloß von Frau hatte sich auf die Schüssel gesetzt, die aus einem einzigen Porzellanguß ohne Brille bestand, hatte die Luft unter sich weggespült, ein Vakuum erzeugt und klebte nun daran so fest, wie er seinerzeit mit der Zunge im Flaschenhals.
„Ein Momenterl, Elvira!“ sagte er und packte mit abgedrehtem Gesicht ihre Knie und riß sie gewaltsam auseinander. Es gab einen kleinen Zischlaut, wie wenn Luft in ein soeben geöffnetes Konservenglas dringt — und mit diesem Augenblick bedurfte Frau Salteneder nur noch geringen Beistandes, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber sie war von den voraufgegangenen Anstrengungen so erschöpft, daß sie nur noch einen einzigen Wunsch hatte: heimgebracht zu werden.
„Setz dich für eine Sekunde hin, Elvira, damit ich dir meine Frau schick“, bat der Pflanz, „du mußt dich nämlich unten schon a bisserl rangieren...“
„Hinsetzen...“, röchelte sie, „auf das Ding? — Nie wieder in meinem Leben!“
„Dann steh halt und zitter weiter“, meinte der Pflanz und wollte davon.
„Xaver!“ keuchte sie und schien sich erst jetzt der ganzen Peinlichkeit ihrer Lage bewußt zu werden, „ich kann mich doch drauf verlassen, daß du keinem Menschen ein Sterbenswörtl davon erzählen wirst!“
„Kein Sterbenswort!“ versicherte er feierlich und legte die Hand aufs Herz. „Es bleibt selbstverständlich unter uns!“
Und er hielt sein Versprechen, jedenfalls an diesem Abend. Aber so war eben Aldenberg, es war noch keine Stunde vergangen, da wußte es die ganze Hochzeitsgesellschaft. Man saß noch beim Ananaseis, da raunten es sich die Herren schon zu und gaben es an die Nachbarn weiter, und wo zwei beisammen standen, da sah man den einen Handbewegungen machen, als risse er ein schlecht gespaltenes Stück Holz vollends auseinander und hörte, daß er mit den Lippen ein Geräusch vollführte, das sich wie das zischende Einströmen von Preßluft anhörte. Bald pruschten auch die älteren Damen, denen es ihre Männer erzählten, und schließlich kicherte auch das junge Volk. Und so begann der heitere Teil der Hochzeitsfeier, der vielleicht durch dieses Ereignis einen etwas turbulenten Charakter annahm.
*
In der Redaktion des ,Anzeiger’ klapperte Lothar Lockner einen schwungvollen Bericht über die Hochzeitsfeier in die Maschine. Seiner ein wenig farblosen Beschreibung des Brautkleides gab Fräulein Klühspieß den letzten Schliff, denn sie verstand sich auf die Raffinessen von Stoff und Machart fraglos besser als er. Das frugale Abendessen, einen Bückling, zwei harte Eier und zwei Butterbrote verzehrte er an seinem Schreibtisch während der Arbeit. Fräulein Klühspieß gab ihm von ihrem Tee gern zwei Tassen ab. Sie selber nahm nichts als ein Zwiebackstückchen und Tee mit viel Zitronensaft zu sich. Eigentlich hatte sie es gar nicht nötig, sich so streng zu kasteien, denn sie hatte gar keine Veranlagung dazu, dick zu werden, aber sie befand sich in dem Alter, in dem das bißchen Fett, das sie ansetzte, sich gerad auf die unerwünschten Stellen schlug. — Um neun verließ sie endlich die Redaktion, und kurz vor zehn schickte Lothar Lockner den alten Rösch, das Faktotum des Hauses, ins ,Lamm’ hinüber, um Wastl Kerschbaumer an sein Versprechen erinnern zu lassen.
„Aber bleiben Sie nicht im ,Lamm’ hängen, Rösch!“ mahnte Lockner den alten Mann. Sein Mißtrauen war nicht ganz unbegründet, denn Quirin Rösch liebte das Bier. Er war ein leicht vertrottelter Kerl mit einer grotesk deformierten Nase; sie sah aus, als wäre er mit ihr einmal in die Spindel eines Fleischwolfes geraten, — und etwas Ähnliches war ja denn auch tatsächlich geschehen. Rösch war vor langen Jahren in der Trunkenheit vom Rade gestürzt und — das Sprichwort Lügen strafend, daß Kinder und Betrunkene einen besonderen Schutzengel hätten — so unglücklich gefallen, daß er mit der Nase zwischen Kette und Zahnrad geraten war. Seine tapferen Versuche, sich selbst zu befreien, waren umsonst gewesen, denn das Loskommen konnte nur gelingen, wenn er die Pedale einmal ganz herumdrehte. Halb hatte er es auch tatsächlich geschafft, aber dann, vor Schmerz fast irrsinnig, hatte er den Versuch aufgeben müssen und war, das Rad an der Nase hängend, brüllend
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