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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Mutter des Bräutigams.
    Der Pflanz schickte einen seiner Lehrbuben fort, um nachzuschauen, ob die Saltenederin etwa mit der Kutsche heimgefahren sei, um das Festkleid gegen ein bequemeres Gewand zu vertauschen, denn sie hatte, als er sie aus der Kirche führte, furchtbar gejammert, daß ihr das Korsett die Luft abschnüre. Der Lehrbub hatte nur ein paar Häuser weit zu laufen und kam bald mit der
    Nachricht zurück, daß Frau Salteneder auch daheim nicht zu finden s ei. Nun wurde es der Frau des Hauses ein wenig unheimlich. Sie verließ für einen Augenblick die Tafel, eilte nach oben, hielt in allen Zimmern Umschau und warf auch einen Blick in die Privattoilette, ob die Verschwundene sich vielleicht auf dieses Örtchen zurückgezogen habe, — aber die Saltenederin war und blieb unauffindbar. In der Küche rang die Köchin die Hände, denn wenn man die Poularden nicht bald servierte, fiel ihre knusprig gespannte Haut zusammen, und so gab Frau Pflanz Weisung, das Geflügel aufzutragen. Auf zehn Servierwagen rollten die leckeren Vögel braungolden in den Saal, von zehn Metzgerburschen gefolgt, die die Tranchierbestecke feierlich vor der weißbeschürzten Brust kreuzten. In diesem Augenblick kam einer von den jungen Leuten, die am Ende der Tafel saßen, zum Pflanz und flüsterte ihm ins Ohr, er habe eine merkwürdige Entdeckung gemacht, und der Pflanz möge ihm doch mal folgen...
    „Was ist los?“ fragte der Pflanz ein wenig ärgerlich, was sonst gar nicht seine Art war.
    „Irgendwo stöhnt eins…“, behauptete der junge Mann, der seiner Sache aber nicht ganz sicher zu sein schien.
    „Wo?“ rief der Pflanz.
    „Im Lokus…“
    Der Pflanz gab seiner Frau einen heimlichen Wink, am Tisch zu bleiben und die Tafelordnung zu überwachen und folgte dem jungen Mann in die Herrentoilette. Sekundenlang standen sie still und lauschten. Aber außer dem Rauschen der automatischen Spülung an der schwarzen Wand war nichts zu vernehmen... oder doch? Ein dumpfes Gestöhn...? Der Pflanz riß die beiden Türen mit den Drehschlössern auf. Die kleinen Schilder zeigten ,Frei’, und hinter den Türen war nichts, was sonst nicht auch dahinter gewesen wäre.
    „Es kommt von drüben!“ sagte der junge Mann plötzlich und deutete auf den kleinen Mauerschlitz, der hoch an der Decke zwischen Herren- und Damentoilette angebracht war. In dem Mauerdurchbruch brannte eine trübe elektrische Birne, die aus Sparsamkeitsgründen beiden Örtlichkeiten ein wenig Licht spendete. Und da war es wieder, das Gestöhn...!
    „Heda!“ rief der Pflanz und horchte. Und jetzt vernahmen seine Ohren einen keuchenden Laut, der wie „Helft’s Leut“ klang, und der ohne Zweifel aus der Damentoilette kam.
    „He, Elvira, bist du es?“ schrie der Pflanz und wartete die Antwort nicht mehr ab, sondern rannte spornstreichs aus der Tür ,Fiir Herren’ hinaus und die Tür ,Für Damen’ fast ein. Ja, hier war zweifellos etwas Furchtbares geschehen. Das immer wiederholte Röcheln: „Helft’s Leut, helft!“ kam schon so schwach, daß keine Zeit mehr zu verlieren war und daß man nicht erst eine Frau zur Hilfe herbeiholen konnte. Die Tür zu dem kleinen Gemach, aus dem die Hilferufe kamen, war versperrt, — und Frau Salteneder, die drinnen um Hilfe stöhnte, sicherlich vom Schlag getroffen worden. Kein Wunder bei diesem Fettkoloß! — Der Pflanz überlegte keine Sekunde, was zu tun sei. Mit beiden Fäusten packte er den Türgriff, stemmte den linken Fuß gegen die Wand und riß mit einem gewaltigen ,ho ruck!’ den Sperriegel aus seinen Klammern.
    Der Anblick, der sich ihm bot, war schrecklich. Ohne Gebiß, denn es lag am Boden, mit aufgelösten Haaren, blau im Gesicht und schweißgebadet, völlig erschöpft vor Anstrengung und wirklich dem Tode nah, saß die Entschwundene vor ihm. Nach unten wagte der Pflanz keinen Blick zu werfen.
    „Was ist los?“ fragte er fassungslos, „was hast du, Elvira?“ — denn nach einem Schlaganfall sah die Geschichte eigentlich nicht aus.
    „Ich komm ums Verrecken nicht hoch!“ keuchte sie.
    „Na, dös werma glei ham!“ meinte er sehr sicher. Er packte ihre Hände, stemmte sich mit den Füßen fest gegen den Boden und zog mit einem gewaltigen Ruck an. Aber eher hätte er ein Bronzedenkmal oder eine Granitsäule von der Stelle gerückt. Noch einmal versuchte er es, mit noch mehr Kraft und noch mehr Schwung. Aber es war nichts zu machen. Es war, als sei Frau Salteneder mit der Porzellanschale verwachsen. Und in diesem

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