Es bleibt natürlich unter uns
mein Sohn weder heimgekommen noch sonst irgendwo anzutreffen gewesen sei...“
Lothar Lockner strählte sich die Haare mit beiden Händen zurück, er preßte sie mit solchem Nachdruck gegen den Schädel nach hinten, daß sich seine Stirnhaut straff wie ein Trommelfell spannte.
„Wissen Sie etwas über den Inhalt der Unterredung zwischen Ihrem Sohn und Herrn van Dorn?“
„Ja, denn wir ließen ihn doch zu uns kommen, als es Mitternacht wurde — und mein Sohn noch immer nicht daheim war.“
Lothar Lockner sah ihr gespannt und erregt ins Gesicht.
„Nun, — er hat sich erboten, Johanna zu heiraten, dieses Mal unter Verzicht auf jede Mitgift. Und er sagte mir, er hätte meinen Sohn gebeten, ihm eine Chance zu geben, alles an Johanna gutzumachen, was er ihr angetan hat. Und er sagte mir weiter, mein Sohn hätte ihm Johannas Anschrift nicht gegeben, aber er hätte ihm versprochen, Johanna sofort anzurufen und ihr die Entscheidung zu überlassen...“
„Glauben Sie das?“ fragte er heftig.
„Wie er es erzählte, klang es nicht unglaubwürdig. Aber was weiß man schon, ob es die Wahrheit war oder nicht...?“
„Wo hält er sich zur Zeit auf?“
„Er sagte uns, er werde so lange im ,Lamm’ bleiben, bis mein Sohn wieder daheim ist. — Oder meinen Sie, daß er einen Grund hat, sich aus dem Staube zu machen?“ —
Lothar Lockner zündete sich eine Zigarette an. Er war so sehr in Gedanken, daß er vergaß, die alte Dame um Erlaubnis zu fragen. Unter anderen Umständen hätte sie ihn gewiß zurechtgewiesen, aber sie hatte selber eine Anregung nötig und holte aus der Tasche des raschelnden Unterrocks die Tabaksdose hervor und schüttete sich aus dem silbernen Stiefelchen eine Prise auf den Daumennagel.
„Ich kann diese Frage nicht beantworten“, sagte er schließlich; „aber wir werden darauf eine Antwort bekommen. — Auch, wenn dieser Mann mit dem Verschwinden Ihres Sohnes nichts zu tun haben sollte, wird er es nicht verschweigen können, daß er der letzte gewesen ist, der mit Ihrem Sohn gesprochen hat. — Erlauben Sie mir noch eine andere Frage: haben Sie Jo inzwischen gesprochen und ihr erzählt, was hier geschehen ist?“
„Natürlich nicht! Es genügt, wenn wir uns Sorgen machen!“
Er nickte ihr fast dankbar zu.
„Verdammt noch einmal“, sagte er nach einer Weile, „es muß doch festzustellen sein, wann Herr Klapfenberg das ,Lamm’ betreten und wann er es verlassen hat! Zwischen acht und neun ist dort doch der Hauptbetrieb. Irgend jemand muß ihn doch gesehen haben!“
„Kein Mensch, wenn er den Hintereingang benutzt hat.“
„Sie haben recht, — daran habe ich nicht gedacht. Und es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, daß er den Hintereingang benutzt hat..
„Was werden Sie nun darüber schreiben?“ fragte sie mißtrauisch und schob ihm einen Blumenuntersatz als Aschbecher hinüber.
„Vorläufig nichts“, antwortete er ihr, „und außerdem kommt die Zeitung erst morgen heraus. Bis dahin werden wir hoffentlich mehr wissen. Ich hoffe von Herzen, daß es keine unangenehme Nachricht ist.“ — Er erhob sich von seinem Stuhl und griff nach seinem Hut: „Vielleicht interessiert es Sie, daß ich nach vier Tagen meinen Urlaub antrete. Ich habe nämlich die Absicht, ihn wenigstens zu einem Teil in Aldenried zu verbringen...“
„Wirklich?“ fragte sie nicht sehr überrascht, „nun, das finde ich nett von Ihnen, junger Mann. — Kommen Sie doch noch einmal bei mir vorbei, bevor Sie abfahren. Ich habe da ein kleines Packerl für das Kind fertiggemacht — ich meine, für das Baby...“ Sie erhob sich ebenfalls und streckte ihm die Hand entgegen, dünne, zarte Finger mit einer zerknitterten, von großen bräunlichen Flecken übersäten Haut.
„Ich fürchte, daß ich meinen Sohn nicht lebend wiedersehen werde“, sagte sie und legte ihre Hand für einen Augenblick auf Lothar Lockners Arm, „aber ich werde dafür sorgen, daß Johanna nichts davon erfährt, — jedenfalls nicht eher, als bis sie auch eine schlechte Nachricht ohne Schaden vertragen kann. Haben Sie mich verstanden, junger Freund?“
„Sie können sich auf mich verlassen!“ sagte er leise und beugte sich über ihre kleine, welke Hand. Er verließ ihre Wohnung und das Klapfenbergsche Haus und ging quer über den sogenannten ,Kleinen Markt’ zum Magistratsgebäude hinüber, in dessen Erdgeschoß die Polizei untergebracht war. Auf seine Frage nach Oberwachtmeister Nirschl deutete der Polizeisekretär Grünwürmer auf
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