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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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lehnte am Inspizientenpult und hatte die Hände gefaltet.
    Diese Aurora – Matilda Felixowna – beherrschte vom ersten Schritt an die Bühne.
    Der Inspizient hatte die Spitze seines linken Schnurrbarts in den Mund gezogen und kaute darauf herum. »Du lieber Himmel!« flüsterte er der Jegorowna zu. »Die hat ja bei den Proben nur markiert! Haben Sie gewußt, daß sie so tanzen kann?«
    »Ich habe es geahnt!« antwortete Tamara Jegorowna. »Und dabei beginnt sie erst, eine Tänzerin zu werden …«
    Es war, als ob Tschaikowskys Musik in einem luftleeren Raum gespielt würde. In dem goldenen Rund des Zuschauerraums der Kaiserlichen Oper rührte sich nichts; selbst das Fächerrauschen der sich Luft zuwedelnden Damen erstarb. In der Zarenloge lehnte sich der Zarewitsch zurück, als könne sein Vater die plötzliche Röte sehen, die sein Gesicht überzog.
    Alexander III. saß, wie immer, hoch aufgerichtet in seinem Sessel und dirigierte mit der rechten Hand die Musik mit. Er war ein Musikfanatiker und stritt sich manchmal sogar mit den Dirigenten seiner Oper, wenn er eine andere Auffassung vertrat.
    In der Kaiserloge war auch Boris Davidowitsch Soerenberg. Er stand ganz hinten an der Tür, trug seine Galauniform und war auf ausdrücklichen Wunsch des Großfürsten-Thronfolgers mitgekommen. Es gab keine Probleme zwischen ihnen. Man sprach einfach nicht über Matilda in ihrer Eigenschaft als Braut von Boris Davidowitsch. Sie lebte, der Zarewitsch liebte sie – das war die einfache Formel.
    Alles andere waren nur störende Verzierungen.
    Nach dem ersten Solo von Matilda brach ein wahrer Jubel aus. Ein schneller Blick zur Zarenloge zeigte, daß der gestrenge Alexander III. begeistert die Hand rührte und klatschte, die Zarin applaudierte, der Zarewitsch, die Großfürstinnen und Fürsten …
    Und das war das Signal, der kleinen, bis heute noch unbekannten Matilda Felixowna explosionsartige Ovationen darzubringen.
    Sie verneigte sich tief, senkte den Kopf und erstarb in einer Demutsgeste, wie es nur Primaballerinen können.
    Auf der Bühne wäre es dabei beinahe zu einem Skandal gekommen. Rosalia Antonowna, das Mütterchen im strammen Bauernkostüm, schluchzte hell auf und machte sich auf den Weg, ihrem Töchterchen um den Hals zu fallen. Vier kräftige Männer mußten sie festhalten, und einer preßte seine breite Hand auf ihren Mund, als sie lautschreiend verkünden wollte, sie habe ja wohl als Mutter das Recht, jetzt ihre Tochter zu küssen.
    Während die Musik wieder einsetzte und das Corps de ballet mit seinen wirbelnden Gestalten die Statisterie verdeckte, schleifte man die Bondarewa hinter die Kulissen und drückte sie gegen eine Mauer. Ein Bühnenarbeiter, ein Hüne von Mensch, kam mit einem dicken Strick und knotete beim Gehen eine Schlinge.
    »Sie wollen mich aufhängen!« stammelte Rosalia Antonowna fassungslos. »Aufknüpfen wollen sie mich! Mißgönnen mir solch eine Tochter! O welch ein Lumpenpack! Mörderbande! Feige Kerle! Vier Männer gegen eine wehrlose Frau! Hilft mir denn keiner! Kann man hier einfach einen braven Menschen aufhängen, bei Tschaikowskymusik und bunten Lampen? Hilft mir denn wirklich keiner?« Ihr Jammern erbarmte keinen.
    Man band sie an einer gemauerten Säule fest, und einer der Edelstatisten – er durfte im Scheinwerferlicht einen Stuhl über die Bühne tragen, was ihn natürlich vor allen anderen auszeichnete – sagte zu ihr:
    »Wenn du noch einen Ton von dir gibst, Mütterchen, binden wir dir auch noch dein schreckliches Maul zu. Richte dich danach!«
    Rosalia Antonowna nickte schwer, hob den Blick nach oben und antwortete brav: »Hinter einem verdorrten Busch sollst du verrecken, stinkende Maus!« Es war die Sprache gewesen, die sie verstand.
    Einmal kam Passukow, der gefürchtete, an ihr vorbei, blieb kurz vor ihr stehen, betrachtete sie und nickte zufrieden. »Ideen muß man haben!« sagte er wohlgefällig. »Nur so lebt das Theater ewig!«
    Die Bondarewa verzichtete auf eine Antwort, spuckte aus und knirschte schauerlich mit den Zähnen. Passukow starrte sie erschrocken an und lief weiter.
    In der Pause saß Matilda zusammengesunken vor dem großen Spiegel in ihrer Garderobe und trank ein Glas Zitronenwasser. Die Garderobiere trocknete ihr die Schultern mit einem Handtuch ab.
    Gleich nach dem Fallen des Vorhangs hatte Passukow mit offenen Armen Matilda in Empfang genommen und an sich gezogen. Mehr nicht … Kein Wort war gefallen. Aber daß gerade der größte Intrigant und

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