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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bestimmt schon gesagt.«
    »Ich will es ihr selbst sagen.« Alexander III. klatschte lauter. Der Vorhang hob sich wieder. Matilda Felixowna knickste tief und demütig vor den Ovationen. »Ich übertrage dir das Arrangement.«
    »Wann willst du sie sehen, Papa?«
    »Wann es ihr recht ist, den Zaren zu empfangen.«
    Nikolai Alexandrowitsch starrte seinen Vater ungläubig an, dann erhob er sich und ging zu dem hinten stehenden, gleichfalls wie wild applaudierenden Boris Davidowitsch. Der Zar befahl nicht – er bat! Es war eine völlig neue, unbekannte Weltordnung …
    »Ist alles in Ordnung, Boris Davidowitsch?« fragte der Zarewitsch.
    Soerenberg stand stramm und blickte über den Kopf des Thronfolgers hinweg auf die Bühne.
    Matilda wurde jetzt von Blumen eingerahmt, die livrierte Lakaien von den Seiten heranschleppten. Riesige Körbe mit einer Blütenpracht, die den Treibhäusern St. Petersburgs entstammte und soviel kostete, wie ein Tagelöhner in einem Jahr verdiente. Korb für Korb …
    »Es ist alles nach den Wünschen Eurer Kaiserlichen Hoheit arrangiert«, meldete Boris steif. Er war Offizier, er war der Vertraute des Zarewitsch … auf eigene Gefühle und Gedanken kam es da nicht an.
    »Die Diskretion ist gesichert?«
    »Absolut.«
    »Auf Sie kann ich mich verlassen, Boris Davidowitsch.« Der Zarewitsch klopfte Soerenberg vertraut auf den Arm. »Wenn Sie einmal Probleme haben sollten, vertrauen Sie sich ruhig mir an, ich werde Ihnen immer helfen.«
    »Ich weiß es, Kaiserliche Hoheit, danke.« Soerenberg erwiderte das freundschaftliche Lächeln des Thronfolgers. »Aber ich habe keine Probleme.«
    Matilda wird seine Geliebte werden, dachte er dabei. Ich kann es nicht verhindern. Das ist einfach schicksalhaft. Und Schicksal ist kein persönliches Problem … Schicksal kann man nicht ändern. Nikolai Alexandrowitsch, nein, ich habe keine Probleme …
    Der Vorhang senkte sich wieder, aber das glanzvolle Publikum klatschte weiter, auch der Zar und die Zarin.
    Das hatte es selten gegeben … Es waren nur wenige in der Oper, die sich an Ähnliches erinnern konnten. Ein zartes, schwarzhaariges Mädchen besiegte St. Petersburg.
    An ihrer Säule, noch immer festgebunden, hörte Rosalia Antonowna das Donnern der Handflächen, Bühnenarbeiter, Statisten, Tänzer, Beleuchter rannten an ihr vorbei und beachteten sie nicht. Schließlich kam Passukow an ihr vorbei, schwitzend, aufgelöst von diesem Triumph, in heller Erregung, weil er wußte, was gleich hinter der Bühne, in der Garderobe geschehen würde.
    »Hej!« brüllte die Bondarewa schrill. »Hej, bleib stehen, du Kretin!«
    Passukow blieb stehen, als habe man ihn vor die Brust gestoßen. Ach, die Alte! Mit blutunterlaufenen Augen drehte er sich um. »Ha!« sagte er nur, nichts weiter.
    »Gilt der Beifall meinem Töchterchen?« schrie Rosalia Antonowna.
    »Gewiß!«
    »Der Zar klatscht auch?«
    »Alle …«
    »Sie jubeln meinem Schwänchen zu? Die hohen Herrschaften klatschen in die Hände vor meiner Matilduschka? Ist das wahr, ist das wirklich wahr? Das gilt alles meinem Herzblut, du krummer Affe?«
    »Wie kann ein Engel wie Matilda aus einem solchen Höllenloch kommen?« fragte Passukow erschüttert. »Das ist das zweite Wunder der Matilda Felixowna …«
    »Binde mich los, du Wanze!« schrie Rosalia Antonowna. »Alle Welt kann mein Täubchen bewundern, nur die eigene Mutter halten sie davon ab! O ihr Teufelsbrut! Befreit mich!« Sie hob den Kopf und brüllte in die hin und her wogende Menge hinein. »Ihr guten Menschen, befreit mich doch! Bindet mich los. Habt Erbarmen mit einer geknechteten Mutter! Könnt ihr das ohne blutende Herzen ansehen? Eine Mutter binden sie fest, weil sie ihr erfolgreiches Kind umarmen will! Ihr Menschen, geht nicht an mir vorbei …«
    Passukow schüttelte sich, als käme er aus der Newa, und rannte weiter. Die anderen beachteten Rosalia gar nicht. Wenn man sie festgebunden hatte, mußte das seinen guten Grund haben. Warum also lange fragen?
    Die Bondarewa ließ das Schreien sein, weinte dann still vor sich hin und geriet allmählich in ein Stadium, wo man wirklich Mitleid mit ihr haben konnte. Schließlich war sie Matildas Mutter; und was konnte sie dafür, daß sie nicht in einer geschnitzten Wiege gelegen hatte, keine Hauslehrer kannte, nicht französisch parlieren konnte und keiner ihr beigebracht hatte, wie man sich in höheren Kreisen benimmt. Aber sie hatte sich und ihr Kind durchgebracht bis zu diesem Erfolg, zu diesem Triumph –

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