Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
mir keiner versaut! Ich werde sie bewachen müssen wie ein Diadem aus Diamanten und Rubinen!«
    »Sie ist verlobt«, sagte Cecchetti und ließ sich noch einmal mit dem Parfümtuch abtrocknen.
    »Man sagt es.«
    »Es ist bestimmt so. Ein Offizier der Gardehusaren. Ein Günstling des Zarewitsch – außerdem!«
    »Woher weißt du das?«
    »Von der Jegorowna. Seit drei Monaten holt er Matilda von der Schule ab, bringt sie morgens hin, hat für sie seit drei Wochen eine Wohnung im Palais Stroitsky gemietet, hat ihr eine Troika mit ausgesucht schönen Pferden gekauft …«
    »Noch mehr solche schlechten Nachrichten?« knurrte Petipa. »Also werde ich mit dem Bräutigam sprechen! Eine Frau wie Matilda gehört nicht ins Kindbett und hinter den Herd, sondern auf die Bühnen der ganzen Welt! Man kann ein Wunder nicht einsperren …« Die letzten Takte des Balletts erklangen. Cecchetti hüpfte noch einmal auf die Bühne, Petipa wischte sich mit beiden Händen das Gesicht ab.
    Matilda Felixowna drehte sich selbstvergessen in einer Pirouette. Man vergaß, daß sie auf Zehen stand, man sah sie nur schweben – ein Kreisel im freien Raum.
    »Das ist unglaublich!« stammelte Petipa ergriffen. »Unfaßbar! Und so etwas will heiraten?«
    Die triumphalen letzten Töne, die musikalische Apotheose, Tschaikowskys berühmter Schlußjubel erklang.
    Dann war ein paar Sekunden vollkommene Stille, ein Atemanhalten, ein Seufzen darauf – und dann ein Beifall, der sich wie eine Explosion entlud. Es war, als stürze das Kaiserliche Opernhaus zusammen, als sprengten die Mauern auf. Das glanzvollste Publikum der Welt sprang von den Sitzen und konnte nur noch jubeln. Zar Alexander III. klatschte wie ein Tanzbär, der sich bei seinen Zuschauern bedankt.
    »Wie heißt die Tänzerin?« fragte er seinen Sohn, während er ununterbrochen applaudierte.
    »Matilda Felixowna Bondarew.«
    Der Zarewitsch hatte rote Backen wie nach einem langen Lauf. Er applaudierte und unterdrückte nur mit Mühe den Ruf: Bravo! Matilda, bravo! Matilda! Sein Herz zuckte, das Atmen fiel ihm schwer. Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne und klatschte pausenlos.
    »Fabelhaft!« rief Alexander III. »Und so etwas kommt aus meiner Schule! Fabelhaft! So etwas ist ein besserer Botschafter Rußlands als jeder glatte Diplomat. Merk dir das, Nikolai! Man kann Hunderttausende nach Sibirien verbannen, die Welt klagt uns an … aber wenn wir ihr dann eine Matilda Felixowna schicken, wird sie alles vergessen und Rußland verzeihen. Roms alter Wahlspruch ›Brot und Spiele‹ gilt auch hier.«
    »Mußt du immer alles politisch sehen, Vater?« sagte der Zarewitsch und klatschte unermüdlich. Matilda verbeugte sich tief, das Licht war voll auf sie gerichtet, was vor allem Cecchetti ärgerte.
    Passukow, der Chef des heutigen Abends, lief in den Kulissen herum und brüllte, sobald sich der Vorhang wieder senkte.
    »Das ganze Corps in einer Reihe! Matilda … hierher … allein nach vorn! Mehr Licht! Vorhang auf! Vorhang!«
    Alexander III. lachte laut. Er war ein Kraftmensch, ein Stier, ein Felsklotz verglichen mit dem zarten Zarewitsch.
    »Alles, was Rußland tut, muß Politik sein, Söhnchen!« rief er gut gelaunt. Das war selten, aber der heutige Abend versetzte ihn in heitere Stimmung.
    Die Zarin schielte zu ihm hin, – wenn Alexander mit Nikolai lachte, wurde es eine traute Familiennacht, eine der seltenen Stunden der wirklichen Eheharmonie.
    »Gewöhne dich endlich daran, immer zu denken und danach zu handeln: Rußland ist eine Weltmacht! Das Gleichgewicht allen irdischen Lebens und Zusammenlebens wird an Rußland gemessen! Wer das nicht glauben mag, wird dazu gebracht werden, und wenn es meine Vettern in Deutschland und England sind! Rußland ist der einzige Felsen, den man nie sprengen kann! Wenn Rußland untergeht, gibt es auch diese Welt nicht mehr!«
    Nikolai Alexandrowitsch nickte. »Es wäre traurig, Papa«, sagte er, »wenn Rußlands Schicksal an einem Mädchen hinge …«
    »Es kann an einem Floh hängen, wenn er die Person wechselt. Das meiste Leid entsteht aus Nebensächlichkeiten! Ich werde diese Kleine da unten zu mir kommen lassen …«
    »Du willst Matilda empfangen, Papa?« Der Zarewitsch starrte den Zaren an. »Warum denn?«
    »Ich will ihr sagen, daß sie in Berlin, Wien, Paris, London, New York, Rom, Tokio, Brüssel, Madrid, Mexiko … überall tanzen muß, begleitet von dem Spruch: Das schenkt Rußland der Welt!«
    »Das wird sie wissen, Papa. Man hat es ihr

Weitere Kostenlose Bücher