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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stänkerer St. Petersburgs auf solch auffällige Art sein Lob darbot – stumm –, das war eine Sensation für sich. Sie lief durch das Opernhaus wie ein Feueralarm. Passukow hatte die Felixowna umarmt! Wortlos! Jawohl, schweigend! Kein Satz war gefallen etwa wie: »Es sah aus, als hättest du Plattfüße!« oder »Das Stück heißt Dornröschen und nicht Wackelhintern!« – nichts, rein gar nichts!
    Passukow schien rundum zufrieden zu sein. Er mußte erkrankt sein …
    »Ich habe zweimal gehakt!« sagte Matilda, als Tamara Jegorowna in die Garderobe kam.
    Die Jegorowna hatte sich bemüht, Rosalia Antonowna zu befreien, aber zwei Statisten hielten bei ihr Wache und prophezeiten einen Skandal, wenn man das Mütterchen wieder auf die Bühne ließe.
    Matilda wußte von alledem nichts. Sie hatte nur gesehen, wie der Zarewitsch sich von seinem Sessel erhoben und stehend zu ihr applaudiert hatte. Auch Zar Alexander III. hatte geklatscht, die Zarin hatte mit dem Fächer gewedelt, was als lautloses Klatschen galt.
    Die ersten Visitenkarten mit der Bitte um eine Vorladung wurden von einem Theaterdiener eingesammelt. Passukow hatte – als alter Fachmann – den Garderobentrakt absperren lassen. Nur wer bekannt war, durfte den Flur betreten, keinesfalls ein Besucher. Da half auch kein Titel …
    »Sieh an, sieh an!« sagte Passukow denn auch, als er die Visitenkarten an sich nahm und las. »Die Fürsten Raspolnikow, Tschemkass, Wobroninew und Batanoj! Das sind mir die richtigen! Ein Aufmarsch der Lebemänner, die zu gern frische Früchte essen! Aber nicht hier – nicht bei uns! Aha, sieh an, auch der Graf Poltonowsky. Witwer seit zehn Tagen! Und der General Wanurian, der Preisstier von Tiflis! Ha, das wäre was für euch, die kleine Felixowna. Da läuft euch das Wasser im Mund zusammen, was? Wenn ihr wüßtet, was für einen Auftrag ich habe … nachher, am Ende der Vorstellung! Ihr würdet um Vergessen stammeln und euch schnellstens entfernen …«
    »Zweimal!« berichtete Matilda. »Einmal bin ich auf der Spitze eingeknickt …«
    »Es hat niemand bemerkt.« Die Jegorowna lehnte an der Wand der Garderobe. »Du warst sehr gut, Töchterchen!«
    »Wirklich?«
    »Sehr gut ist aber nicht genug! Du mußt wunderbar sein. Unerreicht! Einmalig! Sehr gut sind viele. Nachher wird Petipa zu dir kommen. Und im Vorraum habe ich Virginia Zucchi getroffen, sie hat mich kaum gegrüßt! Was willst du mehr?«
    Matilda nickte stumm. Die große Zucchi, die Ballerina am Marientheater von St. Petersburg, dem berühmtesten Ballett-Theater der Welt. Sie ist neidisch! Sie spürt die Konkurrenz! Gibt es das? Wer kann denn heute tanzen wie die Zucchi? Vielleicht nur noch Olga Preobrajenska! Was ist dagegen eine Matilda Felixowna?
    »Petipa?« Matilda sah durch den Spiegel die Jegorowna an. »Er kommt zu mir?«
    »Du sollst in seinem neuen Ballett tanzen …«
    »Unmöglich!« Sie preßte die Hände flach gegen ihre Brust. Ihre Augen flackerten entsetzt. »Ich … ich kann doch gar nicht tanzen … Nicht bei Petipa! Höchstens im Corps.«
    »Als Solistin!« Die Jegorowna lächelte glücklich. »Du mußt es ertragen lernen, Matilda: ab heute verändert sich für dich die Welt! Du brauchst der Sonne nicht mehr nachzulaufen … sie kommt zu dir! Nutze es aus … das Leben ist nur ein Hauch …«
    Im zweiten Teil des Balletts, vor allem aber im Finale, erlebte St. Petersburg die Geburt eines neuen Sterns.
    Petipa und der schwitzende Enrico Cecchetti, der sich nach jedem Auftritt in der Seitenbühne von einem Pagen mit einem parfümierten Tuch abreiben ließ, standen beinahe Hand in Hand da und verfolgten von der Seitenkulisse aus mit zitternden Blicken den schwerelosen Körper, der da über die Bühne schwebte.
    »Ungeheuerlich!« sagte Petipa leise. »Einfach ungeheuerlich. Ich habe bis heute geglaubt, ich wüßte was tanzen ist …«
    »Sie muß verhext sein.« Cecchetti schnaufte und nahm einen Schluck Wasser. »Wenn man sie hebt … man spürt sie überhaupt nicht. Man glaubt, leere Hände zu haben! Das ist doch Hexerei – gibt es denn so etwas?«
    »Ich weiß nur, daß die Preobrajenska an ihren Nägeln kaut, daß die Zucchi mit einer Gelbsucht ins Bett gegangen ist und daß ich einen Kampf gegen Lew Iwanowitsch Iwanow ausfechten werde, der mir die Felixowna wegnehmen will! Aber sie tanzt in meinem nächsten Ballett, und wenn ich den Zaren selbst zu Hilfe rufen muß! Diese Matilda Felixowna wird einmal die Assoluta von Petersburg werden, wenn sie

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