Es blieb nur ein rotes Segel
ganz trauriger Mensch. Warum ist er so anders, wie man sich einen Zaren vorstellt? Was bedrückt ihn?
Plötzlich hatte Matilda Mitleid mit dem Zarewitsch; Mitleid, in das sich ein Gefühl mischte, das sie nicht erklären konnte. Aber beide Empfindungen zusammen ergaben eine schicksalhafte Zuneigung zu dem schönen, schlanken Mann mit den rehbraunen Augen, der ihr zutrank.
»Ich bin sehr glücklich, mit Ihnen zusammen zu sein – Niki –«, sagte sie stockend.
Der Zarewitsch hob sein Glas höher.
»Danke. Ihr Niki hat den schönsten Klang aller Nikis, die ich je gehört habe. Trinken wir auf das Schicksal, das es einmal gut mit mir gemeint hat.«
Die Gläser klangen zusammen, sie tranken den Champagner, aßen den eisgekühlten, zart gesalzenen Kaviar und schwiegen eine Weile.
Plötzlich sagte Matilda:
»Darf ich etwas fragen, Niki?«
Der Zarewitsch zuckte zusammen. »Mein Herz bebt, wenn Sie Niki sagen …«
»Dieser Kaviar ist nun das Essen der ganz Reichen …«
»Unter anderem.«
»Ich verstehe es nicht.« Sie legte den silbernen Löffel hin und nippte an ihrem Glas. »Für mich sind es gesalzene Kügelchen mit Fischgeschmack. Was ist das Besondere dabei?«
»Das kann man kaum erklären.« Nikolai Alexandrowitsch dachte nach. »Die Feinheit der Körnung, die Kunst des Salzens, die Seltenheit …« Er lachte plötzlich, sprang auf, räumte den Kaviar ab und stellte ihn auf den Schminktisch zurück. »Ich bin ein dummer Mensch«, sagte er dabei. »Schimpfen Sie mit mir, Matilda! Ihnen wäre eine Krautsuppe lieber gewesen? Sagen Sie es ruhig! Was mache ich jetzt mit der Trüffelsuppe?«
»Probieren, Niki …«
Es fiel ihr plötzlich leicht, den Erben des russischen Reiches einfach ›Niki‹ zu nennen. Dieser Kosename paßte wirklich zu ihm. Nikolai Alexandrowitsch Romanow – das klang steif, das klang nach Zar. Niki dagegen war ein Gefährte für fröhliche oder auch melancholische Stunden; in Niki spiegelte sich die Sehnsucht nach dem wider, was Nikolai so gern sein wollte, aber nicht durfte oder konnte: einfach ein normaler Mensch!
Sie probierten die Trüffelsuppe mit Sahne, und sie schmeckte Matilda ausgezeichnet, bis auf die Trüffeln. »Sie sind muffig!« sagte sie. »Aber ich nehme an, sie müssen so schmecken …«
»Es sind ganz seltene Pilze aus einer bestimmten Gegend von Frankreich, aus Perigord. Dort findet man sie, indem man Schweine danach suchen läßt.«
»Schweine? Niki, jetzt machen Sie sich lustig über mich.«
»Es ist die Wahrheit! Die Bauern schicken ihre Schweine los, und wo sie schnüffeln und zu graben beginnen, da findet man die Trüffel. Das ist aber nur in der Landschaft Perigord so.«
»Und deshalb sind sie so wertvoll?«
»Ja.«
»Auch wenn sie muffig schmecken?«
»Matilda! Ich verspreche Ihnen, unser nächstes Diner wird aus Borschtsch Bjelorosskije und Gurkengemüse bestehen. Aus Plinis und Piroggen!«
Der Zarewitsch tippte mit dem Zeigefinger auf den Silberdeckel einer großen Platte. »Darf ich Ihnen nun noch die Fasanenbrust anbieten? Aber ich warne Sie – sie ist rosa gebraten. Auf meinen französischen Koch kann ich mich verlassen. Aber ich fürchte, Sie werden sagen: Das Fleisch ist ja noch halb roh!«
»Ist es das?«
»Nun, es ist à la point …«
»Und das heißt?«
»Auf den Punkt gebraten! Eine Minute weiter – und jeder Franzose wäre beleidigt, so etwas vorgesetzt zu bekommen.«
»Versuchen wir es, Niki.«
Matilda lachte und rieb sich die Hände. Der Champagner machte sie fröhlich und schwemmte alle Hemmungen weg, die sie noch vor dem Zarewitsch gehabt hatte.
»Bringen Sie uns den Punkt …«
»Dazu Wein aus Georgien. Ein roter, der leuchtet wie ein Rubin in der Sonne.«
»Und der sich wie Blei auf den Kopf legt – ist es so?«
»Wir werden ihn vorsichtig trinken, Matilda.«
Nikolai Alexandrowitsch richtete auf beiden Tellern die Fasanenbrustscheiben an, träufelte die Sauce darüber, garnierte das Gemüse aus Blumenkohl, kleinen, dünnen grünen Bohnen und in schwimmendem Fett gebackenen Zwiebeln, entkorkte die Rotweinflasche und servierte alles mit einer Perfektion, als habe er sein Leben lang immer nur Speisen aufgetragen und sei nie der Zarewitsch gewesen, den ein kleines Heer von Lakaien und Dienern umschwärmte, das ihm jede niedere Tätigkeit abnahm, überwacht von einem sehr vornehmen Haushofmeister, der sogar den Grafentitel trug.
Dann saßen sie sich wieder gegenüber, probierten den schweren Rotwein und sahen sich nun
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