Es blieb nur ein rotes Segel
abwechselnd bleich und rot. »Nein …«
»Du lehnst ab?«
»Ja … Das heißt: Nein! Nein! Ich kann doch nicht den Zarewitsch … Boris, hilf mir! Ich kann doch nicht dem Zarewitsch sagen …«
»Nein, das kannst du nicht«, erwiderte Boris Davidowitsch sehr ernst. Dabei hämmerte sein Herz gegen die Rippen, und ein unbekannter Schwindel erfaßte sein Hirn. »Der Großfürst wartet nebenan auf dein Wort …«
»Nebenan? Mein Gott!« Sie lehnte sich an ihn. »Boris, was soll ich tun?«
»Ich werde ihm sagen, daß du das Glück zu würdigen weißt, mit ihm deinen ersten Triumph zu feiern.«
»Boris!« Sie klammerte sich an ihm fest. »Und du? Boris, ich flehe dich an … laß mich nicht allein mit ihm … bleib in der Nähe … Boris, ich wollte doch mit dir und Mama …«
»Ich bin nicht wichtig, Matilda. Und Mama wird es verstehen. Ich hole nun den Zarewitsch.«
Er beugte sich über sie, küßte ihr schwarzes Haar und sagte leise: »Gott sei mit dir, Madjuschka. Ich liebe dich unendlich. Nur weil ich dich so liebe, kann ich es ertragen. Gott segne dich …«
Er ging schnell hinaus.
Eine Minute später betrat der Zarewitsch den Raum. Er trug weiße Orchideen wie eine Monstranz vor sich her.
X
Im Leben eines jeden Menschen – bei dem einen früher, bei dem anderen später – kommt der Augenblick, in dem er spürt, daß ein Höhepunkt des eigenen Daseins erreicht ist. Oft kommt diese Erkenntnis plötzlich, schicksalhaft, wie ein Blitzeinschlag; manchmal ist sie das Ende einer langen Entwicklung, die Erreichung eines Ziels, die Frucht aller Mühseligkeit. Aber immer, wenn man spürt, darüber hinaus könne es nun nichts mehr geben, immer ist es wie eine totale Lähmung.
Bis man dann weiß und eingesehen hat, das Leben geht weiter – aber mit einem veränderten Gesicht.
Matilda knickste tief, als Nikolai Alexandrowitsch eintrat. Sie hörte, wie die Tür leise ins Schloß fiel, sie hörte seine Schritte, sie spürte seine Nähe und wagte nicht, den Kopf zu heben und ihn anzublicken. Seine Stimme klang sanft und seltsam gehemmt, als er sagte:
»Matilda Felixowna, ich hatte Ihnen versprochen, bei Ihrem Triumph dabeizusein. Es mußte ein Triumph werden, darüber war ich mir von Anfang an klar. Sie haben heute nicht nur St. Petersburg erobert, Sie haben auch mich ganz erobert. Und – sogar den Zaren! Mein Vater läßt sie bitten – bitten! – zu ihm zu kommen. Hiermit erfülle ich meine dienstliche Mission.«
Matildas Herzschlag setzte jetzt tatsächlich aus. Jetzt sterbe ich, dachte sie ganz klar. So also ist das mit dem Tod … Ganz still ist es in einem, kein Laut mehr in der Brust, alles verliert Raum und Klang. Sie wartete auf die Dunkelheit, aber es blieb hell um sie.
Sie roch den Duft der herrlichen Orchideen, sie hörte, wie der Zarewitsch mit irgend etwas hantierte, sie vernahm von weitem ein rhythmisches Hämmern. Die Bühnenarbeiter bauten die Dekorationen ab.
»Kaiserliche Hoheit –«, sagte sie leise. »Womit habe ich diese Ehre verdient …«
»Ich bin gekommen als Nikolai Alexandrowitsch und möchte mit Ihnen ganz allein ein Glas Champagner auf Ihren Erfolg trinken. Lassen wir uns dabei nicht stören von einer Kaiserlichen Hoheit. Ich sehe keine in diesem Raum …«
Matilda zuckte zusammen. Eine Hand des Zarewitsch faßte ihren Ellenbogen und zog sie hoch aus ihrer tiefen Verneigung. Sie hob den Kopf … und wieder war es wie bei ihrer ersten Begegnung im Oktober, als seine sanften Augen sie anblickten, scheu über den Umweg durch den Spiegel an der Übungsstange. Es war ein Blick, der sie durchdrang und sie ganz in seine Hände gab.
Sie richtete sich auf und nahm die weißen Orchideen entgegen, die Nikolai ihr jetzt mit der anderen Hand hinhielt. Dann standen sie sich gegenüber und wußten nicht, was sie sagen sollten, denn alle Worte würden jetzt dumm und banal klingen.
»Ich … ich habe mir gedacht«, sagte Nikolai endlich, »daß unsere kleine Feier am besten in ihrer Garderobe stattfindet, am Ort Ihres Triumphes. Außerdem ist er sehr gut abzuschirmen. St. Petersburg ist ein Schwatznest … wenn man irgendwo in einem Garten mit der Stiefelspitze gegen einen Stein stößt, wissen es in kürzester Zeit der Hof, der Innenminister, der Polizeipräsident, der Chef der Geheimpolizei und der Direktor der Chirurgischen Klinik. Der Thronfolger ist an einen Stein gestoßen! Wie kann das möglich sein? Wer hat ihm den Stein in den Weg gelegt? War es ein Attentat? Suchet und findet den
Weitere Kostenlose Bücher