Es blieb nur ein rotes Segel
Schuldigen …«
Matilda lachte.
Dieses Lachen befreite sie endlich von dem inneren Druck, der auf ihr lastete. Trotzdem – es klang alles so komisch und unwahrscheinlich. Sie wandte sich ab, stellte die Orchideen in dem goldenen, reich verzierten Korb auf ihren Schminktisch und blickte den Zarewitsch durch den Spiegel an.
»Ich könnte so nicht leben«, sagte sie ehrlich.
»Ich muß es, Matilda. Manchmal beneide ich jeden, der frei wie ein Adler aufwächst. Es ist eine Last, keine Freude, Rußlands Krone zu erben …«
»Es muß doch etwas Herrliches sein, der mächtigste Mann der Welt zu sein.«
»Ist das der Zar?«
»Man sagt es jedenfalls überall.«
»Aber sagt man auch, wie einsam Macht macht? Sagt man auch, wie kalt es da droben auf dem Thron ist, weil keine menschliche Wärme mehr bis dahin dringt? Der große Zar! Die meisten meiner Vorfahren lebten mit einem Zwillingsbruder zusammen: der Angst! Nur mein Vater nicht. Nein, Alexander Alexandrowitsch ist wie ein Fels. Sie werden ihn ja kennenlernen, Matilda.«
Der Zarewitsch ging zur Tür, öffnete sie einen Spalt und klatschte in die Hände.
Es war, als habe man im Gang darauf gewartet. Drei Diener in orientalischen Uniformen marschierten hintereinander in die Garderobe, trugen silberne Schüsseln und bedeckte Platten, Champagnerkühler mit Flaschen herbei und stellten alles auf dem Schminktisch ab.
Mit einem langen Blick überprüfte Nikolai Alexandrowitsch die Gedecke und winkte dann stumm.
Die drei Diener verschwanden lautlos, nur die Tür klickte leise, als sie ins Schloß fiel. Matilda schüttelte den Kopf, vor allem, als der Zarewitsch einen der Deckel abhob und mit vorgestrecktem Kopf schnupperte.
»Wer soll das alles essen?« fragte Matilda. »Das ist alles für uns zwei allein?«
»Ein wenig Kaviar und Trüffelsuppe, ein geräucherter junger Stör, Fasanenbrustschnitten mit Waldpilzen und ein Walnußparfait – dazu Wein aus Georgien und Champagner von der Krim. Das ist alles! Ein fast bescheidenes Mahl für die neue Bühnenkönigin von St. Petersburg!«
»Ich habe von dem allen noch nie etwas probiert. Doch ja – Kaviar! Als ich zwölf Jahre alt war, kam ein komischer Mann zu uns. Er war klein, trug einen bestickten Hut und einen langen schwarzen Bart. Er brachte meiner Mutter ein großes Glas Kaviar mit und sagte: ›Einen Vorschlag, Madame Bondarewa. Ich liefere Ihnen Kaviar, Sie machen damit einen Handel auf und sind in kürzester Zeit eine wohlhabende Frau! Wer kann schon mit solchem Kaviar handeln, wie ich ihn anbiete? Ihre Gegenleistung? Sie geben mir Ihre Tochter mit. In Samt und Seide kleide ich sie, das Glück meines Alters.‹«
»Man hätte diesen Kerl sofort auspeitschen lassen sollen!« sagte der Zarewitsch wütend. »Was hat Ihre Mutter geantwortet?«
»Nichts!«
»Nichts?« rief der Thronfolger entsetzt.
»Der kleine Mann mit dem bestickten Hut lag drei Wochen im Spital. Die Ärzte dachten zuerst, er habe sich das Rückgrat gebrochen … Wie ein Holzscheit ist er die Treppe hinuntergerollt!«
»Ich werde Ihre Mutter bald kennenlernen.« Nikolai hob den Deckel von der mit Eis gefüllten Kaviarschale. »Ich werde ihr für vieles danken müssen, was sie für Sie getan hat, Matilda … Darf ich Sie bedienen?«
»Aber Kaiserliche Hoheit …« Sie setzte sich an den kleinen Tisch. Ihr Gesicht war hell gerötet. Sie faltete die Hände, als der Thronfolger wie ein gelernter Kellner den Kaviar servierte und eine der Champagnerflaschen öffnete.
»Meine Freunde nennen mich Niki –«, sagte der Zarewitsch und goß die Gläser voll. »Könnten Sie sich vorstellen, daß Sie das auch tun?«
»Nie, Kaiserliche Hoheit.«
»Und wenn ich Sie herzlich darum bitte?«
Er griff nach Matildas Händen, führte sie an seine Lippen und küßte sie. Der Blick aus seinen verträumten Augen löste eine heillose Verwirrung in ihr aus.
»Ich wünsche mir nichts so sehr, als daß dieser Abend nicht unser letzter ist. Vorausgesetzt, daß Sie mich nicht einfach abscheulich finden, Matilda.«
Er setzte sich ihr gegenüber, hob sein Champagnerglas und lächelte sie über den Glasrand an. Es war ein vorsichtiges, beinahe trauriges Lächeln. Eine in leise Fröhlichkeit gebettete Melancholie – sozusagen.
Er ist nicht glücklich, dachte Matilda. Dieser Mann, der einmal das größte Reich der Erde regieren wird, der zu den mächtigsten der Welt zählen wird, der zukünftige Zar mit unbeschränkter Macht – dieser Mann ist in seiner Seele ein
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