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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aktenstücke existierten. Allein der Verdacht genügte dann, um sie zu verurteilen und nach Sibirien zu verbannen.
    Eine explodierende Bombe war deshalb auch immer der Anlaß, daß einige hundert russische Bürger und Bürgerinnen rasch untertauchten und eine Zeitlang in Verstecken und im Untergrund lebten, auch wenn sie mit dieser Bombe nicht das geringste zu tun hatten.
    Unmittelbar Betroffene gingen nicht mehr in Deckung – sie räumten auf! Wo eine Explosion gewesen ist, kommt so schnell keine zweite, das wußte man aus Erfahrung, wie auch die alte Kriegsweisheit lautet, daß äußerst selten in einen Granattrichter eine zweite Granate fällt. Wer also bei einem Angriff in einen frischen Granattrichter sprang, war dort verhältnismäßig sicher – damals!
    Kaum war also die Bombe im Hof des Stroitskypalastes detoniert und hatte den Schlitten für Matilda Felixowna auseinandergerissen, rannten der Haushofmeister, zwei Lakaien und der Pferdeputzer zu dem schreienden, blutenden Knäuel aus Pferdeleibern, Kutscher und qualmenden Schlittenteilen und räumten auf. Mit langläufigen Pistolen erlösten sie zunächst die Pferde von ihren schrecklichen Qualen und schafften dadurch Ruhe. Das fürchterliche Wiehern hörte auf. Wer einmal ein verwundetes Pferd hat schreien hören, der vergißt das in seinem Leben nie – der Ton brennt sich in seine Seele ein.
    Dann zog man den Kutscher aus den Trümmern heraus, einen blutüberströmten Klumpen in einem zerfetzten langen Pelzmantel, legte ihn seitlich von dem Chaos in den Schnee und betrachtete ihn.
    Man brauchte kein Arzt zu sein, um die Diagnose zu stellen, daß der früher so kräftige Semjon Iwanowitsch Tulpinew nie mehr auf einem Kutschbock sitzen würde. Die Bombe hatte ihm den Bauch aufgerissen, die Därme quollen hervor, ein grauenhafter Anblick war es. Tulpinew hatte die Besinnung verloren, er spürte keine Schmerzen mehr, aber die Nerven seines zerrissenen Körpers zuckten noch. Es war sinnlos, an ein Überleben zu denken.
    Der Haushofmeister, einstmals Feldwebel bei der zaristischen Artillerie, kniete neben dem Kutscher nieder, bekreuzigte sich und sagte ergriffen:
    »Semjon Iwanowitsch, der Herr sei bei dir. Ein guter Mensch warst du immer, das bezeugen wir alle. Das Paradies hast du verdient. Sprich dort oben gut für uns, deine lieben Freunde.«
    Dann setzte er die Pistole an die Schläfe des Sterbenden und drückte ab. Was man einem Pferd gönnt, soll man einem Menschen nicht verwehren – die Erlösung.
    Zwei Lakaien trugen den Leichnam dann weg in den Stall und bahrten ihn in der Sattelkammer auf – auf dem Tisch, an dem Semjon Iwanowitsch immer das Zaumzeug so gründlich mit Lederfett gepflegt hatte.
    Um die ohnmächtige Rosalia Antonowna kümmerte sich unterdessen die Zofe.
    Da die Bondarewa zu schwer war, um sie vom Marmorboden der Halle aufzuheben, hatte man sie zur Treppe geschleift und dort gegen das Geländer gelehnt. So saß sie halb auf dem Boden, mit hängendem Kopf, und die Zofe wedelte ihr mit einer Schürze Luft zu. Bei jedem Pistolenschuß vom Innenhof zuckte Rosalia Antonowna zusammen und rutschte weiter zurück in eine liegende Stellung.
    Matilda Felixowna hatte sich, als die Bombe explodierte,gerade in ihren Pelz gehüllt. Sie wollte das Zimmer verlassen, da krachte es. Die Fenster flogen auf, Glassplitter regneten in den Raum, und mit einem Schrei flüchtete Matilda hinter einen breiten Sessel. Dort warf sie sich aufs Parkett. Dann hörte sie das fürchterliche Pferdewiehern und preßte die Hände gegen die Ohren, zog den Pelzmantel über sich und rollte sich zusammen wie ein sterbendes Hündchen.
    Knapp eine Stunde später glich der Stroitskypalast einer vom Militär eroberten Festung.
    Die Bombensonderkommission der St. Petersburger Polizei hatte alles abgesperrt und verhörte das Personal. Experten suchten in den Trümmern nach Bombenteilen. Mustin, der Zwerg, saß am Bett von Rosalia Antonowna und hielt deren schlaffe Hand, tröstete sie und versuchte, ihren Schock zu mildern.
    Boris Davidowitsch war mit einer Abteilung Husaren sofort vom Anitschkowpalast herübergekommen. Er war in zweifacher Funktion dienstlich hier: Der Zar persönlich hatte ihn beauftragt, den Schutz der Tänzerin Matilda Felixowna zu übernehmen, und der Zarewitsch, der bei der Meldung des Attentates bleich bis in die Haarspitzen geworden war, hatte Soerenberg angefleht, Matilda nun nicht mehr aus den Augen zu lassen.
    »Diese Geier!« sagte Nikolai

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