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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Handwerker, mit Ketten gefesselt, im Stallgebäude des Palais.
    Verhöre sind immer absolut individuelle Leistungen, wenn sie nicht durch Gesetze oder Verfügungen eingeengt werden und dem Verhörenden mehr Unbill verschaffen als den Verhörten. Im zaristischen St. Petersburg gab es wohl eine Gerichtsverordnung, aber die war nur den Studierenden bekannt. Der einfache Bürger in Stadt und Land nahm klaglos hin, was ihm die Behörde – dazu noch ein Uniformträger – bescherte.
    Wozu protestieren? Ein Protest fiel ja doch nur wie ein Hammer auf einen selbst zurück.
    Kommissär Tschumkassy hatte seine eigene Verhörmethode.
    Über sie war noch nie geklagt worden, sie wurde nicht verworfen, kritisch betrachtet oder gar untersagt – sie hatte einfach immer Erfolg!
    Und Erfolge wiegen bekanntlich alle Bedenken auf.
    Es war ein Verhör der Entmenschlichung.
    Zunächst wurden der Tischler, der Seidenspanner und der Schlosser zur Einstimmung im Stallgang verprügelt. Man ohrfeigte und trat sie, riß an ihren Bärten, drehte an ihren Ohren, klopfte ihnen den Rücken weich und sagte dann leutselig: »Ich nehme an, deine Gedanken sind jetzt klar wie das Wasser der Lena. Wie hast du die Bombe in den Schlitten gelegt? Zeig es uns …«
    Natürlich konnte es keiner zeigen. Tschumkassy hatte es nicht anders erwartet, Schläge auf den Rücken und Tritte waren solche Subjekte gewohnt – damit erfährt man keine Wahrheit.
    Man packte die Armen also und schleppte sie einzeln in die Sattelkammer.
    Dort lag auf dem Tisch der tote Kutscher Semjon Iwanowitsch Tulpinew mit aufgeklapptem Pelzmantel und dem zerrissenen Leib. Der Polizeiarzt hatte seinen Tod festgestellt, ohne sich damit aufzuhalten, daß neben dem Bauch auch ein Loch in der Schläfe vorhanden war. Der Anblick des zerfetzten Körpers allein genügte, um ins Protokoll zu schreiben: »Tod durch Explosion einer Bombe.«
    Nun lag also Semjon Iwanowitsch auf dem Holztisch, blutig, zerfetzt, und stellte einen Anblick dar, den auf die Dauer nur abgebrühte Polizeinerven ertragen konnten.
    Der Tischler hatte diese Nerven nicht. Er brach in Schluchzen aus, schwankte, mußte auf den Beinen gehalten werden, erhielt zur Ermunterung einen Schlag in den Nacken und gestand unter einem Tränenstrom, daß er seinen Schwager, den Mitbesitzer der Tischlerei, durch nicht abgeführte Gelder um 134 Rubel betrogen habe. Mit Tulpinews zerrissenem Leib aber hatte er nichts zu tun.
    Der Seidenspanner glotzte den Toten entsetzt an, schluckte dann laut und fiel um. Wer mit so zarten Dingen wie Samt und Seide umgeht, der darf auch zarte Nerven haben. Kommissär Tschumkassy ließ ihn wegbringen und schleifte den Schlosser in die Sattelkammer.
    Dieser Mensch, ein kleiner windiger Bursche mit Namen Dragonetz, schlug ein Kreuz vor dem Toten, verdrehte die Augen und erbrach sich. Draußen im Stall begann er dann zu weinen, und er weinte noch lauter, als die beiden Polizisten, die inzwischen bei ihm das Haus durchsucht hatten, zurückkamen und eine schmale Ledertasche mitbrachten. Sie brachten auch die Frau mit, die jammernde Dragonetzkaja, die beteuerte, sie habe nicht gewußt, daß ihr Mann eine Tasche mit 200 Rubeln in der Werkstatt versteckt hatte.
    Kommissär Tschumkassy glaubte ihr sofort, schrie sie an, sich anständig zu benehmen und ließ den zitternden Dragonetz die Kleider vom Leib ziehen. Schmal, mickrig und völlig nackt, mit Ketten gefesselt, stellte man ihn draußen in den klirrenden Frost und goß eine Kanne Wasser über seinen Kopf. Das Wasser gefror sofort und bildete bizarre Eiszapfen um Dragonetz' Schädel, Schultern und Leib.
    »Erinnere dich …«, sagte Tschumkassy gemütlich. Auch hier zeichnete sich ab, daß seine individuelle Verhörmethode Erfolg haben würde. »Wer hat dir die zweihundert Rubelchen gegeben, und wie hast du die Bombe in den Schlitten gelegt? Wer dir das Geld gegeben hat, der hat dir auch die Bombe mitgebracht, nicht wahr? Mehr will ich nicht wissen. Bitte, mein lieber Dragonetz, erinnere dich …«
    Nach zwei Stunden war Dragonetz steif gefroren und tot. Sein Herz hörte einfach zu schlagen auf, entweder war das Blut gefroren oder die Herzklappen waren vereist. Er fiel nicht einmal um, denn die Wassergüsse und das daraus entstehende Eis hatten ihn auf dem Boden festgewurzelt. Klein, nackt und eisglänzend stand er auf dem Hof.
    »Brich ihn ab und trag ihn weg!« sagte Tschumkassy zu der Witwe. »Er war es! Er hat die Bombe gelegt! Die zweihundert Rubel sind

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