Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Immerhin nenne ich Kramskoj meinen Freund, andererseits bin ich Ihnen gegenüber verpflichtet, Boris Davidowitsch, weil ich weiß, daß Kramskojs Leben nur noch aus dem Gedanken besteht, Sie zu vernichten. Was soll ich tun? Raten Sie mir! Aber geben Sie mir nur nicht den klassischen Rat: Es muß doch möglich sein, einen Menschen spurlos verschwinden zu lassen. Wir leben nicht mehr zu Zeiten des Zaren Iwan IV.«
    »Man kann nichts weiter tun, als aufmerksam zu sein und – in Notwehr eben die Luft zu reinigen«, entgegnete Soerenberg nachdenklich. »Ich sollte vielleicht Kramskoj einen Besuch abstatten.«
    »Sind Sie von Sinnen, Boris Davidowitsch? Sie kämen aus dem Palais nicht lebend heraus.«
    »Wenn ein Mensch Rache um jeden Preis will, kann man ihn nicht daran hindern. Er wird hundert und mehr Möglichkeiten ersinnen. Es bleibt nur eins: Ihn beim ersten Versuch bereits für immer auszuschalten.«
    »Ja, das müssen Sie tun, Boris. Ich kann Ihnen dabei nicht helfen, ich kann Sie nur warnen, wenn ich etwas erfahre. Stimmt es übrigens, daß der Zarewitsch Interesse an der Felixowna zeigt?«
    »Wer behauptet das?«
    »Ihre Gegenfrage ist Antwort genug.« Jussupow lächelte verhalten. »Werden Sie Nikolai Alexandrowitsch auch zum Krüppel schlagen?«
    »Er würde nie versuchen, sich etwas mit Gewalt zu holen.«
    »Konstruieren wir, er täte es!«
    »Undenkbar!«
    »Denken Sie es einmal …«
    »Ich würde ihn erschießen. Es wäre einfach für mich. Er betrachtet mich als seinen Freund …«
    »Das täten Sie für eine Matilda Felixowna?«
    »Nur für sie!«
    »Mein Gott, wie sehr müssen Sie dieses Mädchen lieben, Boris Davidowitsch! Und welch ein Herz müssen Sie haben, dem Zarewitsch zusehen zu können.«
    »Kein Herz, Hoheit. Nerven! Man muß die Nerven haben, sein Schicksal zu ertragen. Vielleicht ändert sich etwas in Rußland durch Nikolai und Matilda …«
    »Glauben Sie das?«
    »Ein neues Paar wie Cäsar und Kleopatra …«
    »O Himmel, beschwören Sie das nicht herauf! Cäsar wurde ermordet, Antonius stürzte sich in sein Schwert, Kleopatra ließ sich von Giftschlangen beißen, und zwei Weltreiche – Rom und Ägypten – gingen zugrunde! Wünschen Sie das Rußland?«
    Am Nachmittag desselben Tages erschütterte eine Explosion die Mauern des Stroitskypalais.
    Der Schlitten, den der Kutscher vorfuhr und in dem Matilda zu Tamara Jegorowna fahren wollte, flog in die Luft, zerplatzte in vier Teile und regnete als Trümmer in den Innenhof. Dem Kutscher wurde der Bauch aufgerissen, die Pferde lagen übereinander, wieherten schrill, daß einem die Seele erfror, schlugen mit den Beinen um sich und bluteten aus zerfetzten Leibern.
    In der Halle fiel Rosalia Antonowna in Ohnmacht, nicht ohne vorher geschrien zu haben: »Jetzt geht die Welt unter! Erbarme dich, Herr!«
    Es gab keinen Zweifel: In dem Schlitten war eine Bombe versteckt gewesen.
    Nun erhob sich die Frage: Was macht man, wenn eine Bombe explodiert ist? Die meisten werden antworten: Sofort in Deckung gehen, lang auf den Bauch, den Kopf zwischen die Schultern stecken, den Hintern flach andrücken, kein Ziel mehr darbieten und dann ruhig abwarten, was noch kommen könnte.
    Eine solche Reaktion ist natürlich, denn wer wird schon ein Held sein wollen, wenn versteckte Bomben hochgehen?
    In Rußland, vor allem in St. Petersburg, hatte man sich in dieser Zeit, besonders nach dem Bombenanschlag auf den Zaren Alexander II., daran gewöhnt, daß Extremisten, Kommunisten, Dumagegner, Regimekritiker, Fanatiker, religiös Wahnsinnige oder auch schlicht nur Unzufriedene ihrem Unmut durch mehr oder weniger wirkungsvolle Sprengladungen Ausdruck gaben.
    Nicht, daß es überall, an allen Ecken St. Petersburgs, täglich knallte, als sei das Leben ein einziges Feuerwerk, – wenn aber wieder einmal eine Bombe detonierte, dann rückte eine Sonderkommission der Polizei aus, die auf solche Ereignisse spezialisiert war; eine Abteilung Kosaken wurde in Alarmbereitschaft versetzt und ein Bataillon der Gardeinfanterie wartete darauf, gegen irgend jemand marschieren zu müssen.
    Meistens traf es die Falschen und Unschuldigen.
    Krachte es irgendwo, so verhaftete man schnellstens alle, die durch Reden oder Schriften unangenehm aufgefallen waren oder denen man zutraute, daß sie Bomben legten. Das waren politische Neuerer, Freiheitswirrköpfe, Zarkritiker, die besonders gefährlichen Sozialisten; eben alle, über die bei der Geheimpolizei, der gefürchteten Ochrana, dicke

Weitere Kostenlose Bücher