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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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angefüllt von Deiner Stimme, dem Blick Deiner Augen, den Bewegungen Deiner Hände, dem Schweben Deines Ganges, dem Glockenton Deines Lachens. Alles um mich herum ist Musik, unwirklich, sphärisch, engelsrein, fern dieser grausamen Welt. Matilda, woher kommst du wirklich? Bist Du ein Geschenk Gottes? Wie kann die Menschheit ein Geschöpf wie Dich hervorbringen? Die Welt hat sich für mich verändert … Sie ist so schön geworden, wie sie es sonst nur in Wünschen und Träumen war …«
    Ein Brief voller Überschwang.
    Matilda las ihn ihrer Mutter vor, die sofort in Tränen ausbrach und ergriffen sagte: »Welch eine Bildung! Von uns ahnt ja keiner, was man mit Worten alles machen kann! O Gott, wie wird sich nun unser Leben verändern …«
    Zum Mittagessen erschien der Zwerg Mustin Urasalin. Er begrüßte Rosalia Antonowna mit einem Handkuß, den sie verschämt, wie ein heranwachsendes Mädchen, entgegennahm. Dann saßen sie sich gegenüber, der Zwerg mit den Spinnenbeinen und dem riesigen Kopf und die Dame des Hauses mit ihren ausladenden Schenkeln und dem gewaltigen Busen. Ein ungleicheres Paar hätte wohl selbst ein Märchenerzähler nicht erfinden können, aber das Leben übertrifft eben oft die Phantasie.
    Die Dienerschaft der Stroitskys, die sich erst an die neue Situation und die veränderte Herrschaft gewöhnen mußte, – denn es war eine gewaltige Umstellung von der vornehmen, stets gedämpft sprechenden Valerie Maximowna Stoitskaja zu der lautstarken und mit Ausdrücken nicht eben zimperlichen Bondarewa –, servierte das Essen und bewunderte im stillen die innere Festigkeit der Rosalia Antonowna, in Gegenwart einer solchen Mißgeburt noch mit Appetit essen zu können.
    Boris Davidowitsch hatte einen dienstfreien Tag bekommen. Er nutzte ihn, um für Matilda einige Weihnachtsgeschenke zu kaufen und bei dem Fürsten Jussupow vorbeizufahren, der ihn dringend sprechen wollte.
    Fürst Valentin Wladimirowitsch Kramskoj, dem niemand zu sagen wagte, daß er auf den Irrsinn zusteuerte, hatte ›die Felixowna‹- wie sie schon jetzt in St. Petersburg genannt wurde – bei ihrer Premiere auch erlebt; er gehörte nun einmal zu dem Kreis der auserwählten Personen, der eine Einladung erhalten hatte.
    Den Arm noch in einer Schlinge, hatte er im Frack, geschmückt mit Orden, in einer Loge gesessen und durch ein Opernglas sofort erkannt, wer da gefeiert wurde. Bis zu diesem Augenblick hatte er den Namen des Mädchens nicht gekannt, für dessen Ehre er zum Krüppel geschlagen worden war, nun wußte er ihn! In der Pause nahm er zähneknirschend seinen Freund Jussupow zur Seite und sagte mit vor Erregung zitternder Stimme:
    »Wegen einer Ballettratte ist also mein Leben verpfuscht! Ein Weibsstück, das durch die Betten zieht wie ein Spielmann über die Märkte!«
    »Ich glaube nicht, daß die Felixowna zu dieser Sorte gehört«, antwortete Jussupow vorsichtig. Er zog Kramskoj in eine Nische, um jedes Aufsehen zu vermeiden. »Valentin Wladimirowitsch, du solltest die ganze Angelegenheit schnellstens vergessen!«
    »Vergessen? Mit einem lahmen Arm? Mit einer Narbe über der ganzen Schulter? Vergessen? Ich werde erst wieder glücklich sein, wenn ich am Grabstein dieses Soerenberg stehe!«
    »Zieh dich auf deine Güter zurück«, riet Jussupow eindringlich. »Ich befürchte, du kommst sonst mit dem Hof in Konflikt.«
    »Was geht den Zaren mein Privatleben an?«
    »Nichts. Du bist auch völlig uninteressant, aber man wird noch viel und oft von der Felixowna hören. Wenn es stimmt, was man mir zugetragen hat, dann wird sich nach der Pause die Garderobe der Matilda Felixowna in einen Blumengarten verwandeln. Ein kleiner Gruß des Zarewitsch! Kramskoj … dieser Gegner ist zu groß für dich.«
    Fürst Kramskoj hatte sinnend geschwiegen, hatte dann seinen Freund Jussupow einfach stehenlassen und war in seine Loge zurückgerannt.
    Dort nahm er während des zweiten Teils des Balletts das Opernglas nicht von den Augen und starrte mit bebenden Lippen die Felixowna an.
    Jussupow hatte ihn von seiner Loge aus beobachtet. Er ahnte Schreckliches.
    »Was machen wir mit ihm?« fragte Fürst Jussupow seinen Gast Soerenberg. Sie saßen in der Bibliothek des Palastes zusammen, tranken einen Kaffeelikör und rauchten eine Zigarre. »Freiwillig verläßt er St. Petersburg nicht. Eine anonyme Anzeige nützt nichts, der Polizeipräsident wird sich hüten, einen Mann wie Kramskoj auch nur zu verhören! Dem Zaren einen Wink zu geben, widerstrebt mir.

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