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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sollten ihn kalt stellen. Nach unserer Erfahrung verderben sich an warmen Kuchen die Hunde schnell den Magen …«, und schaltete solcherart elegant die Köchin aus. Weinend verkroch sie sich in ihre Kammer.
    »Na also!« sagte Mustin zufrieden, als in kürzester Zeit alles so hergerichtet war, wie man es von Zarskoje Selo gewöhnt war. »Es wird dem Zarewitsch nie glücken, deine Blinis mit Pilzen zu essen, Rosalia Antonowna! Immer werden die anderen vorher dasein und alles umfunktionieren!«
    »Das nächstemal nicht!« knirschte die Bondarewa. »Heute haben sie mich überrumpelt, aber beim nächstenmal jage ich sie aus dem Haus!«
    Das war keine Großsprecherei. Mustin traute es der Bondarewa ohne Einschränkung zu.
    Mit diesem Nachmittag am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1893 begann für Matilda und Nikolai eine Zeit der Seligkeit.
    Fast jeden Abend kam der Zarewitsch zum Essen in das Stroitskypalais, und Rosalia Antonowna kochte ihm die Gerichte des Volkes, von einer dicken Suppe aus Graupen bis zum gefüllten Stör; und wenn sie selbst die Platten auftrug, breithüftig, die Schürze noch umgebunden, das Gesicht vom Herdfeuer gerötet, den Küchendunst hinter sich herziehend, dann sagte sie wohl, während sie sich an den Tisch setzte, voller Stolz: »Niki, das ist ein besonderer Schneehase. Bei Vitja Leontinowitsch, dem Erzgauner, dem Händler an der Ecke zur Krasnogary, habe ich ihn gekauft! Die besten Hasen hat er, ganz frisch! Wollte mir ein altes zähes Luder andrehen, aber ich habe es ihm um die Ohren geschlagen, durch den ganzen Laden habe ich ihn gejagt, bis er mir von hinten diesen frischen Schneehasen holte!«
    Mit derlei Tafelmusik begann das Essen, und der Zarewitsch fühlte sich glücklich.
    So gingen die Wochen des langen Winters dahin.
    Matilda tanzte in der Oper von Erfolg zu Erfolg, wenn sie an einem Abend frei war, saß sie am Fenster, denn sie wußte, daß der Zarewitsch kommen würde. Sie wartete ungeduldig, bis sie den Hufschlag seines Pferdes hörte und ihn die Straße heruntertraben sah. Dann empfing sie ihn in der Halle des Palais und fiel ihm um den Hals. Es war ein junges, alle Himmel aufstoßendes Glück, und Rosalia Antonowna, die als erfahrene Frau über den Tag hinausblickte, sagte manchmal zu ihrem Freund, dem Zwerg Mustin:
    »Wie soll das enden? Wie nur?«
    »Warten wir es ab.«
    »Einmal wird er Zar, und Matilda kann doch nie Zarin werden.«
    »Unmöglich.«
    »Wir werden alle ins Unglück stürzen, sage ich dir. Mir haben sie damals nur ein Kind gemacht, aber ich bin nicht daran zerbrochen. Matilda wird man mehr antun, und sie wird daran zerbrechen! Himmel hilf! Was kann man nur tun?«
    Man konnte nichts dagegen tun.
    An den Abenden, an denen Matilda nicht tanzte, lud der Zarewitsch nun seine besten Freunde in das Stroitskypalais. Nach dem Essen wurde musiziert und getanzt, ein berühmter Tenor sang Arien, die der Zarewitsch selbst am Klavier begleitete, man sang im Chor alte Volkslieder oder spielte ›Maskieren‹, wobei die phantasievollsten Verkleidungen prämiert wurden, oder noch nicht bekannte Dichter lasen aus ihren Werken und wurden anschließend mit einigen Goldrubeln so kaiserlich beschenkt, daß sie mindestens einen Monat lang keine Hungersorgen mehr hatten.
    Aus Matilda Felixowna wurde die ›Grande Dame‹ St. Petersburgs – natürlich ganz ›im geheimen‹.
    Bei jedem Besuch brachte der Zarewitsch ihr Schmuck mit, sie hatte eine eigene Loge in den Theatern und im Zirkus, sie besaß eine Equipage mit einem Kutscher, der einer der besten Pistolenschützen war, und wenn im Frühjahr das Eis brach und die Newa und das Meer frei wurden, so wartete auf sie ein eigenes luxuriöses Segelboot mit einem Kapitän und fünf Matrosen, einem Koch und einer Zofe.
    Ab und zu fuhren sie hinaus in die Umgebung von St. Petersburg zur Jagd. Dann blieb Matilda in einem geheizten Zelt zurück, während der Zarewitsch mit seinen Freunden, Vettern und Offizieren an der Hatz teilnahm. Einmal vernichteten sie sogar ein ganzes Wolfsrudel.
    Nikolaus Alexandrowitsch verwandelte sich in kurzer Zeit völlig. War er früher ein stiller, in sich gekehrter, fast scheuer Jüngling, so ritt er heute wahre Attacken, blühte auf und wagte schließlich etwas, was bisher undenkbar schien: Er widersprach seinem Vater!
    Was nach einigen Wochen die ganze Gesellschaft von St. Petersburg wußte, erfuhr der Zar ziemlich spät. Es war sein Freund und Berater Pobedonoszew, dem schließlich nichts anderes

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