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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in Schwung zu bringen. O Mustin, wie schön wäre die Welt, wenn es mehr wie uns gäbe!«
    Sie waren schon ein merkwürdiges Paar, aber keiner wagte es, darüber zu lachen.
    Und während Matilda zum Zaren gefahren wurde, entwickelte sich im Stroitskypalais ein Rennen und Wirken, das wenig Weihnachtliches an sich hatte, aber in ein paar Stunden doch eine ergreifende Weihnachtsstimmung schuf … von der Halle bis zum Speisesaal war alles mit Blumen und Tannengrün geschmückt, und die Kerzen trugen bunte Samtschleifchen.
    Letzteres war eine Idee von Rosalia Antonowna; selbst Mustin wagte es nicht, sie ihr auszureden, so glücklich war sie darüber.
    Auf dem Weg zum Zaren holte Matilda noch Tamara Jegorowna ab. Sie drückte ihren Liebling an sich und küßte sie, als habe sie ihre Tochter nach langen Jahren wiedergesehen.
    »Ganz Petersburg spricht bereits von dem Attentat«, berichtete sie. »Dein Name ist in aller Mund. Überall gibt es Verhaftungen! Alle beteuern, daß sie gar keinen Grund hatten, dich zu töten! Die bekanntesten Extremisten verurteilen den Anschlag. Mein Täubchen, was mußt du gelitten haben! Kannst du überhaupt heute tanzen?«
    »Der Zar will es«, sagte Matilda leise. »Also wird es gehen …«
    »Und wenn dich die Kraft verläßt?«
    »Nein!« Sie lächelte verklärt. »Er ist ja da, Tamara … ich tanze für ihn … Niki …«
    Der Zarewitsch empfing sie selbst, hob eigenhändig Matilda aus der Kutsche und führte sie durch viele prunkvolle Gänge mit Marmorwänden und Statuen zum Privattheater des Zaren. Sie gingen ein paar Schritte voraus … erst dann folgten Boris Davidowitsch, die Jegorowna und andere Begleiter.
    »Wie fühlst du dich?« fragte Nikolai Alexandrowitsch. »Ich habe auf meinen Vater eingeredet, ich habe ihm gesagt, daß du am Rande eines Nervenfiebers stehst, er soll die Vorstellung absagen, – aber nein, der Zar, dieser Bär, will seine Soiree. Er hat für diese Stunde seit Wochen eisern geübt und seinen Kontrabaß sogar mit ins Schlafzimmer genommen.«
    »Was hat er?« fragte Matilda verblüfft.
    »Laß es dir erklären. Es ist eine Marotte meines Vaters, von der nur ein kleiner Kreis am Hofe weiß. Wir kommen jetzt von oben ins Theater … dann wirst du alles sehen.«
    Er öffnete eine samtbespannte Tür, sie betraten eine Loge und gingen bis zur Brüstung. Vor ihnen lag das kleine, in Gold und Rot gehaltene Theater des Zaren. Die Plätze waren noch leer, nur das Orchester saß schon hinter der Rampe und übte noch einmal schnell einige Passagen aus ›Schwanensee‹.
    Im Augenblick sahen alle auf den Kaiserlichen Hofkapellmeister Wladimir Jewsejewitsch Marabow, der ihnen etwas erklärte, was sie im falschen Tempo gespielt hatten. Er verwandte für diese Kritik keine tadelnden Worte und schrie nicht herum, wie es Dirigenten sonst mit Vorliebe tun, sondern sprach leise und höflich, ab und zu durch kleine Verbeugungen unterstrichen.
    Denn dieses Orchester hatte es – sozusagen – in sich; niemand beneidete Marabow um die Ehre, es dirigieren zu dürfen.
    »Siehst du – das ist es!« sagte der Zarewitsch leise. Dann erklärte er: »Der erste Geiger ist Großfürst Wladimir, das zweite Cello spielt Fürst Bartyscht. Die Soloflöte bläst Großfürst Iwan, Bratsche und Viola sind von den Gebrüdern Grafen Nowrocky besetzt. Und der da an der dunklen Baßgeige, der sich gerade mit dem Bogen am Kopf kratzt, ist mein Vater, Zar Alexander III. Der beste Mann aber ist der Dicke an der Pauke! Ja, der mit dem Hängeschnautzbart und den chinesischen Augen. Es ist General Dschingis-Khan, einer der letzten Nachkommen des berüchtigten Völkerschrecks. Wenn er auf die Pauke haut, glaubt man, der Himmel donnert! Mein Vater ist von ihm begeistert. Seit Jahren sucht er nach einem Komponisten, der ein Stück für Pauke und Kontrabaß schreibt. Aber anscheinend wagt das keiner.«
    Der Zarewitsch legte seinen Arm um Matildas Schulter und zog sie an sich. »Da hast du nun unser Kaiserliches Orchester! Es wird heute für dich spielen, denn es wird deinen Tanz begleiten.«
    Der arme Marabow klopfte mit dem Taktstock gegen sein Pult.
    »Noch einmal ab zweiunddreißig, bitte!« rief er und hob die Arme. »Majestät, bitte bei sechsunddreißig nicht voll zugreifen. Nur leicht anzupfen! Und denken Majestät bitte daran, daß ab achtunddreißig der Baß die glissandi der ersten Geigen nur unterstreicht …«
    »Das fasse ich aber anders auf!« schrie Alexander III. »Wladimir Jewsewitsch, wenn

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