Es blieb nur ein rotes Segel
Kleidung angelegt.«
»Haben Sie ihr nicht alles erklärt?«
»Soweit das möglich war, Kaiserliche Hoheit.«
»Gab es denn da eine Grenze?«
»Gewiß! Bei dem Geheimnis um die Erkrankung des Zaren. Ich habe einen Eid geleistet …«
»Matilda weiß also davon nichts?«
»Keine Andeutung!« Soerenberg blickte den Zarewitsch fragend an. »Wollen Sie ihr das Geheimnis anvertrauen?«
»Ich muß wohl. Alle anderen Erklärungen wären Lüge, und ich kann Matilda nicht belügen. Sie vor allem hat ein Recht, die volle Wahrheit zu erfahren.«
»Auch …, daß Kaiserliche Hoheit die Prinzessin von Hessen wirklich lieben?«
Der Zarewitsch blickte seine Stiefelspitzen an. Sein schönes schmales Gesicht mit dem gepflegten Bart und den ›melancholischen Gazellenaugen‹ – wie Nikis Vertrauter, Constantin de Grünwald, sie einmal beschrieb – drückte jene Unsicherheit aus, die Zar Alexander III. so maßlos erregte und die den Vater so schroff zu seinem Sohn werden ließ.
»Kann man so etwas überhaupt erklären?« fragte Nikolai leise. »Kann eine Frau begreifen, daß man zwei Frauen lieben kann und keine verlieren möchte? Ich begreife es ja selbst nicht, Soerenberg!«
»Man sollte also vermeiden, darüber zu reden«, meinte Boris Davidowitsch. »Und man sollte eine Entscheidung fällen.«
»Matilda aufgeben?«
»Die Prinzessin von Hessen wird nicht begeistert davon sein, wenn Kaiserliche Hoheit im Stroitskypalais Tee trinken und zu Abend essen.«
»Noch ist Alice nicht in Petersburg …«
»Aber sie wird kommen! Und Sie wissen, daß Kaiserliche Hoheit in London erwartet werden. Königin Victoria hat Sie eingeladen …«
Der Zarewitsch nickte.
Alle Welt verlangte von ihm Entschlossenheit, und gerade die widersprach durchaus seinem Naturell. Er suchte lieber den Vergleich, den Kompromiß, das Ausweichen – Härte war etwas, was ihn selbst quälte, wenn er sie anwenden sollte.
»Wie würden Sie sich verhalten, Soerenberg, wenn Matilda Rußland verlassen möchte?«
»Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Es gibt nur eine Entscheidung: Ich würde um Entlassung aus dem Dienst bitten und würde mit ihr fahren, wohin sie möchte.«
»Wie ich Sie beneide, Boris Davidowitsch«, antwortete der Zarewitsch leise und traurig. »Sie sind ein glücklicher Mensch, Sie brauchen nicht Zar zu werden!«
Drei Stunden blieb Nikolai Alexandrowitsch bei Matilda.
Man hatte ihnen Tee serviert, dann hatte man sie allein gelassen. Rosalia Antonowna und Boris warteten im großen Wohnzimmer; Rosalia immer bereit, sofort durch eine Tapetentür zu verschwinden, wenn sich der Zarewitsch nähern sollte.
»Er redet, redet, redet!« sagte sie. »Ich kenne das, hinterher ist man wie betrunken von seinen Worten, man versteht nichts mehr, man weiß nichts mehr – man sagt zu allem Ja und ist froh, daß man es überlebt hat! – Was gibt es da viel zu erklären? Er ist verlobt, er wird heiraten. Er wird Zar, er hat seine Zarin – aus! Braucht man drei Stunden, um das zu erklären? Geh zu ihnen, Borja! Sag: Nun ist es genug! Und wirf den Zarewitsch raus! Was kann dir passieren? Er wird tief Luft holen – und nichts tun! Wie immer! Wann kommt nur endlich die Revolution?«
Kurz darauf hörten sie Schritte von der Bibliothek her kommen.
Die Bondarewa entwich durch die Tapetentür, Soerenberg ging dem Zarewitsch entgegen.
Im mittleren Salon trafen sie sich. Nikolai war allein.
Das war kein gutes Vorzeichen, aber das Gesicht des Thronfolgers zeigte keine Trauer, keine Verlegenheit … Er lächelte Soerenberg zu.
»Es war ein gutes Gespräch, Boris Davidowitsch«, sagte er rasch. »Es wäre ein Fehler gewesen, es nicht zu führen. Matilda ist eine wunderbare Frau: keine Tränen, keine Vorwürfe, keine Fragen! Sie war eher – ausgesprochen losgelöst, animiert – wir haben über alles gesprochen …«
»Auch über die Krankheit des Zaren?«
»Ja. Matilda will für ihn beten.«
»Und die Prinzessin von Hessen?«
»Matilda sagte von sich aus, daß ein Zar …«
Soerenberg nickte. Seine Worte! Die Staatsräson! Die Pflicht gegenüber dem russischen Volk.
Er sah den Zarewitsch stumm an, und der verstand ihn.
»Ich … ich habe es bestätigt«, berichtete Nikolai Alexandrowitsch. »Der Wunsch meines Vaters … O Soerenberg, wenn Sie wüßten, wie hin und her ich gerissen bin! Wie chaotisch es in mir aussieht! Jetzt, wo ich Matilda wiedergesehen habe … und gleichzeitig an Alix denken mußte … Ich wünsche Ihnen nie einen
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