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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in St. Petersburg und wurde gefeiert wie kaum eine Tänzerin vor ihr.
    Sogar der große alte Marius Petipa wagte es noch, mit ihr ›Coppelia‹ zu tanzen – und wurde von ihrer Kunst mitgerissen.
    Die Ballettstars Nikolai Legat und Enrico Cecchetti waren ihre ständigen Partner. Aufstrebende Sterne wie Nicolas Sergejew und Michael Mordkin saßen stumm vor Bewunderung im Parkett oder wagten einige Passagen mit der großen Felixowna auf der Probebühne.
    Es war, als sei Matilda von einem Rausch ergriffen worden.
    So hart Tamara Jegorowna sonst auch war und ihren Schülern gegenüber keinen Pardon kannte – sie trainierte Matilda weiter, wie sie es nun fast zehn Jahre lang getan hatte –, manchmal sagte sie doch zu ihr: »Ruh dich aus, Töchterchen. Tanz dir nicht die Seele aus dem Leib – du mußt noch lange leben! Was du da tust, gleicht einem Verbrennen! Und das geht nicht gut …«
    »Ich muß vergessen!« pflegte Matilda zu antworten. »Und wie kann ich das anders als durch den Tanz?«
    Es war eine Frage, auf die niemand eine Antwort wußte.
    Die Rückkehr des Zarewitsch aus England wurde von zwei Ereignissen überschattet.
    In London hatte er seinen früheren Freund, Soerenbergs Duellgegner Kramskoj getroffen. Der Fürst hatte ein Handelskontor eröffnet und importierte Kaviar, Krimwein, grusinischen Cognac und usbekische Stickereien aus Rußland.
    Das Unternehmen war noch im Aufbau. Die Hauptaufgabe Kramskojs schien es zu sein, ein kleines Heer hübscher Mädchen zu besiegen, das sich um ihn, den reichen russischen Fürsten, versammelt hatte.
    Nikolai begrüßte ihn kühl – dafür fiel die Begegnung zwischen Boris Davidowitsch Soerenberg, der den Zarewitsch selbstverständlich begleitet hatte, und Kramskoj um so heißer aus.
    »Sie sind auch hier?« sagte Kramskoj, heiser vor Haß. »Das Schicksal meint es gut mit uns, Boris Davidowitsch!«
    An dem Tag, an dem der Zarewitsch allein mit Prinzessin Alice nach Balmoral fuhr, wurde Soerenberg bei einem Morgenritt in der Umgebung von Walton on Thames überfallen.
    Aus dem Hinterhalt schoß jemand auf ihn. Als er ihn verfehlte, flüchtete der Attentäter. Boris Davidowitsch riß sofort sein Pferd herum und galoppierte dem Täter nach. Kurz vor einem Waldrand, wo dessen Pferd angebunden war, holte er ihn ein. Der Attentäter hatte keine Gelegenheit mehr, in den Sattel zu springen.
    »Sie sind und bleiben ein Schwein, Valentin Wladimirowitsch! Ich habe es immer gesagt!« rief Soerenberg kalt. »In einem Feld sitzen und hinterrücks schießen! Wie ein Wegelagerer. Man wird Sie auch wie einen Strolch behandeln!«
    Er holte mit der Reitpeitsche aus und schlug Kramskoj über den Kopf. Der Fürst brüllte, sprang auf sein Pferd zu und riß aus der Satteltasche eine lange Reiterpistole.
    Von neuem zischte die Lederpeitsche durch die Luft, traf Kramskojs Arm, die Pistole zitterte, der Fürst legte auf Boris an …
    Da stieg Soerenbergs Pferd hoch, schlug mit den Vorderhufen aus und tänzelte auf den Fürsten zu.
    Kramskoj wurde zurückgestoßen, stolperte und suchte Halt … In diesem Augenblick löste sich der Schuß und traf ihn in den Bauch. Er fiel nach rückwärts um und starrte aus leeren Augen zu Soerenberg hinauf.
    Zwei Stunden später starb Kramskoj im Zimmer des Wundarztes Sir Henry Blynten, der im Schloß zufällig Bereitschaftsdienst hatte. Eine Rettung war nicht mehr möglich, die Därme waren zerfetzt, ein Transport zur nächsten Klinik war völlig ausgeschlossen.
    Der Zarewitsch wurde sehr ernst, als er von dem Geschehnis hörte. Er drückte Soerenberg an sich, beglückwünschte ihn und ließ den toten Fürsten aus dem Schloß schaffen.
    Prinzessin Alice weinte stundenlang. »Sollen meine Träume wahr werden?« fragte sie ihre Schwester Elisabeth, die den Großfürsten Sergej geheiratet hatte. »Mir hat geträumt, daß Blut über Rußland regnet und ein Beben die Erde erschüttert. Mein armer Niki …«
    Die zweite Erschütterung erlebte Nikolai Alexandrowitsch, als er seinem Vater über seinen Besuch in England Bericht erstattete.
    Der Zar, der nicht leidend sein wollte, sah miserabel aus. Gelblich im Gesicht, aufgedunsen, mit gelben Augäpfeln und bebenden Händen saß er vor dem Zarewitsch.
    Er weigerte sich standhaft, im Bett zu liegen. Er saß in einem hohen Sessel, oder er wanderte ruhelos umher. Wenn ihn die grausamen Koliken überfielen, schloß er sich ein, damit niemand sah, wie er sich vor Schmerzen krümmte. Er schluckte Medikamente gegen die

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