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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tschaikowskys Melodien in all ihrer verführerischen Schönheit.
    Matilda schrie nicht. Sie saß steif in dem Lehnstuhl und starrte ins Leere.
    »Steh auf!« sagte Soerenberg.
    Als sie nicht reagierte, kommandierte er wie vor der Schwadron:
    »Aufstehen! In Position! Aufstehen!«
    »Borja!« rief sie verzweifelt. »Bitte …«
    »Raus aus dem dämlichen Lehnstuhl! Bis heute habe ich immer geglaubt, eine Tänzerin habe mehr Disziplin als ein Soldat! Ist das ein Irrtum? Stehst du jetzt auf?«
    Er begann von neuem, dieselbe Melodie.
    Mit geschlossenen Augen erhob sich Matilda, warf den pelzverbrämten Mantel ab, stand in einem langen, spitzenbesetzten Nachthemd mitten im Raum.
    »Und jetzt – jetzt los!« kommandierte Boris. »Kommt da nicht ein Sprung? Halt! Alles zurück! Von vorn! Soll das der Welt beste Tänzerin sein? Ich muß lachen. Da bewegt sich eine Bauernmagd graziler, wenn sie die Gänse füttert! Also – noch einmal …«
    Und Matilda tanzte.
    Ihr Gesicht war wie eine Maske, erstarrt in Ausdruckslosigkeit, die Augen blieben geschlossen … aber ihr Körper, ihre Beine, ihre Arme, die Finger jubelten schon in den Melodien und schienen losgelöst von allem Irdischen.
    Mitten in den Tanz hinein platzte Rosalia Antonowna. Sie hatte das Klavierspiel gehört und stürmte nun ins Zimmer, weil sie dachte, Boris Davidowitsch begleite mit seinen Melodien Matildas langsames Sterben.
    Wie von einem Schlag zurückgeworfen, blieb sie in der Tür stehen, starrte ihre Tochter an, die im wallenden Nachthemd, als sei sie aus dem Grab auferstanden, Schwanensee tanzte und durch den Raum schwebte.
    »Er bringt sie um!« schrie sie. »Mein armes Täubchen! Gelähmt war sie, und jetzt bricht er ihr die Knochen! Hilft mir denn keiner?«
    Dann blieb sie, am ganzen Körper zitternd, stehen und sah verblüfft ihre Tochter an, die noch nie so schwerelos getanzt hatte wie in diesen Augenblicken.
    Es war, als tanzte sie ihren ganzen Kummer aus dem Körper, ihre ungeheuer große Enttäuschung und ihren Abschied von einer großen, aber von Beginn an zum Verzicht verurteilten Liebe.
    Als Boris Davidowitsch die Hände von der Klaviatur nahm, fiel auch Matilda zusammen. Sie sank auf ihr Bett, als habe sie der Schlag getroffen, und breitete die Arme dabei weit aus. Die Bondarewa sagte dumpf: »Borja, du bist ein Mörder!«
    Natürlich überlebte Matilda diesen Tag.
    Am nächsten Morgen war sie wie verwandelt, kam zum Frühstück herunter, setzte sich an den Tisch und verlangte Tee, Rosinengebäck und frische Butter.
    Rosalia Antonowna konnte vor Schluchzen nichts essen, rannte um den Tisch herum, küßte ihr Töchterchen, danach Boris Davidowitsch, bekreuzigte sich vor einer Ikone des heiligen Wladimir, den sie bat, der Jungfrau Maria für dieses Wunder zu danken, und küßte vor Überschwang sogar den Zwerg Mustin auf den ungeheuren Kopf, als er schon so früh zu Besuch kam.
    Aber es war nur eine kurze Freude.
    Mustin wackelte mit den Ohren, was überall Heiterkeit erzeugte, schließlich war er ja ein Narr –, aber jetzt war es pure Verlegenheit. Er überbrachte die Botschaft, daß zum Nachmittagstee Seine Kaiserliche Hoheit, der Großfürst Nikolai Alexandrowitsch ins Stroitskypalais käme.
    »Nein!« schrie die Bondarewa auf. »Hätte ich dich Scheusal doch nie geküßt! Hinaus mit dir! Hinaus! Wer mir so eine Nachricht überbringt, der gehört nicht zu uns! Ich möchte dich an die Wand schmettern wie eine junge Katze!«
    »So ist sie immer!« jammerte der Zwerg und flüchtete sich zu Soerenberg. »Warum versteht sie nicht, daß ich nur eine Null bin –, die man mit einer Botschaft losschickt?«
    »Er kommt also!« fuhr Rosalia Antonowna fort. »Mutig! Sehr mutig! Ich werde ihn mit meinem Fleischklopfer erschlagen! Und keiner hält mich davon ab!«
    Als am Nachmittag der Zarewitsch allein geritten kam – nur in einiger Entfernung ritten vier Husaren – sagte Boris Davidowitsch zu Rosalia Antonowna: »Entscheide dich nun, Mütterchen: Eingeschlossen im Keller – oder du bist freundlich zu dem zukünftigen Zaren!«
    Die Bondarewa war konsequent, – sie ließ sich zwar nicht im Keller einschließen, aber sie verzog sich in ihr Boudoir und ließ sich von ihrer Zofe die Haare waschen.
    Der Zarewitsch, in der Uniform seiner Gardehusaren, begrüßte Soerenberg mit einer Umarmung, was er nur bei seinen besten Freunden tat. »Wie geht es ihr?« flüsterte er dabei.
    »Sie wartet in der Bibliothek.«
    »Sehr traurig?«
    »Sie hat schwarze

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