Es blieb nur ein rotes Segel
Deutschland, hat den Zarewitsch in die Arme der anderen begleitet, hat vielleicht vor der Tür Wache gestanden, damit niemand sie stört! Läßt zu, daß man seine Braut so beleidigt, daß man ihre Nerven zerreißt, daß sie für alle Zeit gelähmt ist! Der Herr Offizier in seiner schönen Uniform! Aber was steckt drin? Eine Memme! Ein schielender Stammler! Sieh mich an! Ich habe gehandelt, ich habe etwas getan! Seit vier Tagen bin ich unterwegs! Das Volk, das gemeine Volk, und ich gehöre dazu, steht auf meiner Seite! Eine Revolution werden wir machen, jawohl, eine Revolution!«
»Der Himmel halte dich zurück!« sagte Soerenberg heiser. »Die Dinge liegen doch ganz anders.«
»Hat sich Niki verlobt?« schrie Rosalia Antonowna.
»Ja …«
»Hat er mein Schwänchen damit in den Dreck getreten?«
»Nein.«
»Ha! Du Zarenknecht! Hat er sie verlassen oder nicht?«
»Warum schreist du so, Mütterchen? Haben wir nicht alle damit gerechnet? War es nicht von Beginn an klar, daß Matilda Felixowna nie die Zarin werden könnte? Einmal mußte die Trennung kommen!«
»Aber wie sie gekommen ist! Sitzt hier, trinkt meinen Tee, ißt meinen Kuchen, sagt: ›Die Stunden bei Ihnen sind die schönsten des Tages, Madame!‹ – schenkt mir ein goldenes Kreuz mit Perlen und Rubinen – und am nächsten Tag fährt er weg nach Deutschland und verlobt sich mit einer Prinzessin! Ist das ein Benehmen, he? Konnte er nicht ehrlich sagen: ›Mütterchen, da ist noch etwas. Behalten Sie die Fassung, nehmen Sie Matilduschka in den Arm und trösten sie … ich muß mich verloben!‹ Hätte er das nicht sagen können? Es wäre bitter genug gewesen, aber ich hätte mein Schwälbchen ganz vorsichtig eingeweiht. ›Hör zu, Töchterchen‹, hätte ich gesagt, ›die Männer sind alle gleich. Ob Rübenhacker oder Zarewitsch – alle gleich! Es lohnt sich nicht, um sie zu weinen, es lohnt sich schon gar nicht, um sie zu trauern! Und wenn einer sogar mal Zar wird … Da muß er an sein Volk denken, da muß er standesgemäße Kinder bekommen, aber das kann er nie von dir, denn du bist ja nur eine Tänzerin und keine Hochwohlgeborene – und überhaupt solltest du denken: Da habe ich doch meinen Boris Davidowitsch, einen so lieben Menschen, der bereit ist, mich zu heiraten. – Das ist schon etwas! Baronin wird man da. Baronin von Soerenberg! Und dann ist man auch eine Hochgeborene, man braucht nicht immer nach ganz oben zu schielen!‹«
Rosalia Antonowna holte schnaufend Luft. »Glaubst du nicht auch, das wäre besser gewesen? Das hätte Matilda verstanden! Aber so! Einfach wegfahren und sich verloben!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Es muß eine Revolution geben!«
»Wo ist Matilda jetzt?« fragte Soerenberg erregt.
»In ihrem Schlafzimmer. Sie will keinen sehen, außer dem Arzt und … natürlich mich!«
»Ich muß mit ihr sprechen!«
»Dann mußt du mich vorher totschlagen!«
»Ich bin ihr Verlobter, Mütterchen, vergiß das nicht!«
»Wer hat das vergessen, he?«
Nun blies die Bondarewa Luft wie ein Dampfkessel von sich, sie stand genauso unter Druck. »Warum lebt Niki noch? Ein aufrechter Mann hätte ihn schon in Deutschland umgebracht und ihm einen Zettel auf die Stirn geklebt: ›So geht es einem, der ein braves Mädchen wegwirft!‹ Aber nein, da wird Champagner getrunken, da wird auf das Glück angestoßen, da wird sogar noch getanzt! Und mein Schwänchen weint sich das Herz aus dem Leib!«
»Der Zarewitsch wird ihr alles erklären.«
»Er will noch einmal hierherkommen?« Rosalia lief jetzt dunkelrot an. »Er will es wagen, mir unter die Augen zu treten? Soll er kommen, soll er ruhig kommen … der Kuchen, den er essen wird, der wird von Gift triefen! Wie Honig wird er schmecken, aber er wird ihm die Gedärme zerreißen!«
»Kann ich jetzt endlich zu Matilda?« fragte Boris. »Daran, daß ich sie jetzt für mich allein habe, denkst du nicht! Ich könnte jubeln vor Glück!«
»Sag ich es nicht, die Männer sind doch alle gleich! Wozu brauchen sie eigentlich einen Kopf? Nur zum Tragen des Helms? – Überleg doch einmal, natürlich hast du Matilda jetzt für dich allein, aber was ist aus ihr geworden? Ein zerbrechliches Püppchen mit seidendünnen Nerven, wie der Arzt sagt. Sie will nicht mehr leben! Es hilft keine Medizin mehr!«
Endlich gab die Bondarewa die Treppe frei und zeigte mit beiden Armen theatralisch nach oben. »Geh nur hinauf! Sieh sie dir an! Und fahre zu deinem Niki und bringe ihn um!«
Matilda lag nicht
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