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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Nierenentzündung, zur Auflösung der Steine, gegen die Schmerzen – er trank jeden Tag bis zu fünf Liter Mineralwasser, um die Nierensteine auszuschwemmen – aber alles war vergeblich. Die Steine waren zu groß, um noch abzugehen, und sie operativ zu entfernen, wagte kein Chirurg der Welt. Man kann nicht zwei Nieren aufschneiden oder gar entfernen. Hier war der Medizin noch eine Grenze gesetzt …
    »Vielleicht in zehn, zwanzig oder hundert Jahren!« sagten die Ärzte. »Vielleicht ist dann jemand gekommen, der eine Maschine entwickelt hat, daß man ohne Nieren leben kann? Aber das wird wohl eine Utopie bleiben! Wie soll man den Körper mechanisch entgiften? Unmöglich …«
    »Man will mich auf die Krim schicken, Niki«, berichtete der Zar bedrückt. Je näher er dem Tod rückte, um so enger schloß er sich seinem Sohn an. Nikolai war sowieso sein Liebling – deshalb war er ja auch alle die Jahre so streng gegen ihn gewesen.
    »Als ob die Luft auf der Krim meine Nierensteine verzaubern würde! Aber auch deine Mutter will es. Die Ärzte sagen, das dortige Wasser, die täglichen Bäder, Massagen – wenn die Entzündungen abgeklungen sind – könnten mir helfen! Glaubst du das, Niki?«
    »Ich bin kein Arzt, Vater. Aber ich meine, man sollte auf ihren Rat hören. Du siehst nicht gut aus.«
    »Das merke ich allein! Manchmal könnte ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Niki, mögest du nie Nierenkoliken bekommen! Es zerreißt dich, sage ich dir!«
    Der Zar ließ sich in seinen dick gepolsterten Sessel fallen. »Was wird werden, wenn ich sterbe?« fragte er nach einer Pause.
    »Daran sollten wir nicht denken, Vater«, antwortete der Zarewitsch bedrückt.
    »Nur daran, Niki! Zwölf Jahre habe ich regiert – ich hatte mir eine längere Zeit vorgenommen! Aber ich habe es doch fertig gebracht, keinen Krieg zu führen!« Er richtete sich stolz auf. »Ich bin einer der wenigen Zaren, die keinen Krieg geführt haben. Sie nennen mich im Volk ›Mirotworjez‹ – den ›Friedensbewahrer‹. Das freut mich sehr, und darauf bin ich ein wenig stolz. Niki, ich lege dir ans Herz: Wenn du einmal Zar sein wirst, denke immer daran, laß Rußland den Frieden! Laß dich nie in einen Krieg hineinziehen. Man kann alle Konflikte durch Verhandlungen lösen. Alle! Man braucht keine Toten dazu. Und wenn die anderen Großen dieser Welt ihre Säbel rasseln lassen, denke daran: Rußland ist so groß, Rußland ist so mächtig und reich – man kann es nie besiegen! Das wissen auch die anderen, aber sie tun gern so, als seien sie stärker. Laß dich nie davon beeinflussen, Niki!«
    »Ich werde es nie vergessen, Vater.« Nikolai Alexandrowitsch küßte dem Zaren die Hand. »Aber wir alle hoffen und beten, daß unser ›Mirotworjez‹ noch lange lebt …«
    Im August wurden die Schmerzen unerträglich. Hinter verschlossenen Türen hörte man Alexander III. ab und zu dumpf brüllen, wie einen gefesselten Stier.
    »Es ist furchtbar!« sagte Nikolai zu Matilda.
    Er besuchte sie jetzt weniger, ein-, höchstens zweimal in der Woche, und dann nur heimlich, in Zivil. Der Polizeipräsident hatte den Auftrag erhalten, das Stroitskypalais zu überwachen. Der Befehl kam von der Zarin.
    Man hatte ihr zugeflüstert, daß der Zarewitsch auch nach seiner Verlobung mit der Prinzessin von Hessen noch zu Matilda Felixowna ginge. Das war für die Zukunft ein unmöglicher Zustand, fand sie, und so gab es keine andere Möglichkeit, als das Palais überwachen zu lassen. Jedermann, der zu Besuch erschien, wurde notiert.
    »Mein Vater stirbt –«, sagte der Zarewitsch bedrückt zu Matilda. »Er stirbt jeden Tag ein wenig. Es ist schauerlich, das anzusehen. Entsetzlich, sein Stöhnen zu hören. Er muß so sehr leiden – aber wenn man ihn sieht, ist er immer noch der unfällbare Baum. Wie lange soll das noch gehen?«
    Im Herbst des Jahres 1894 ließ sich Alexander III. endlich erweichen, auf die Krim zu reisen. In seinem von blühenden Gärten umgebenen Schloß am Meer wollte er den Tod erwarten.
    Wenn ein Zar eines normalen Todes stirbt – was äußerst selten war –, so standen um sein Sterbebett nicht nur Ärzte, sondern auch eine Anzahl Priester, an der Spitze der Metropolit. Mönche sangen außerhalb des Totenzimmers feierliche Choräle oder beteten um das Seelenheil des Zaren, der sich darauf vorbereitete, vor seinen Richter zu treten.
    Zwar war ein Zar von Gott auserwählt worden, das große russische Volk zu regieren – das wußte jeder, und jeder mußte

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