Es blieb nur ein rotes Segel
solchen Konflikt.«
»Ich werde nie einen solchen kennenlernen«, antwortete Soerenberg fest. »Ich liebe nur eine Frau …«
»Seien Sie nicht so sicher! Die Welt ist voll von schönen Frauen! Sie kennen doch die Blitze, die plötzlich und unverhofft einschlagen? Man kann ihnen nicht ausweichen, denn sie sind schneller und stärker.« Der Zarewitsch legte den Arm um Soerenbergs Schulter. »Boris Davidowitsch, wenn ich Zar bin, mache ich Sie zum Fürsten. Ich werde Ihnen Güter im Tobolsker Raum schenken. Ein Freund wie Sie ist selten …«
»Wenn Sie Zar sind, Kaiserliche Hoheit«, sagte Soerenberg ernst, »werde ich Rußland verlassen.«
»Das werden Sie mir nicht antun! Das werde ich verhindern!«
»Ich werde immer bei Matilda sein! Glauben Sie, daß sie noch für einen Zaren tanzt, an dessen Seite Alice als Zarin sitzt?«
»Ja, das glaube ich!«
Nikolai Alexandrowitsch drückte Soerenberg an sich. »Sie ist eine einmalig große Künstlerin. Sie wird immer tanzen. Da kenne ich sie besser als Sie! Am nächsten Sonntag tanzt sie schon! – Ich sehe Ihre Verwunderung, das hätten Sie nicht geglaubt, nicht wahr?«
»Nein, Kaiserliche Hoheit.«
Boris Davidowitsch begleitete den Zarewitsch zum Ausgang.
Hoffentlich, dachte er, wird man dich als Zar später nicht so leicht belügen und betrügen wie jetzt. Armes Rußland, was wird aus dir, wenn dieser Zar so leicht zufriedenzustellen ist und der Wahrheit nicht ins Auge blicken kann …
XIII
Im Juni des Jahres 1894 fuhr der Zarewitsch auf der kaiserlichen Yacht ›Nordstern‹ von St. Petersburg nach England, um seine Braut Alice von Hessen zu besuchen.
Zar Alexander III., aufrecht wie ein Turm aus Felssteinen, aber innerlich immer mehr von seinen Schmerzen und Koliken zermürbt, gab dazu freudig seine Erlaubnis; die Welt sollte sehen, wie sehr Niki seine Alix liebte.
Die Prinzessin lebte nach ihrer Verlobung bei ihrer Großmutter, Königin Victoria von England, auf dem Landsitz Walton on Thames und wartete sehnsüchtig auf ihren Zarewitsch. Mit offenen Armen – selbstverständlich aber mit der schicklichen Zurückhaltung – wurde Niki empfangen, und dann ließ man die Verliebten allein.
Sie machten lange Spaziergänge durch den Park und die Landschaft, sie begleiteten Königin Victoria auf ihren täglichen Gartenwanderungen, und da die Königin in letzter Zeit sehr schlecht gehen konnte, hatte man für sie ein Wägelchen konstruiert, dem ein Pony vorgespannt war.
Es war ein Bild, das bald um die ganze Welt ging: Die alte, ehrwürdige Queen in dem niedrigen Wagen, über sich einen Sonnenschirm haltend, vor sich das lustige kleine Pony mit der flatternden Mähne, daneben der Leibkutscher, würdevoll, mit weißem Backenbart. Eine Idylle besonderer Art.
Es waren glückliche Tage.
Alice und Nikolai fuhren nach Windsor, sie fuhren zu den Schlössern Frogmore und Osborne, sie suchten stille Stunden in den Gärten von Balmoral oder besichtigten Londons Sehenswürdigkeiten.
Nikolai schrieb in sein Tagebuch: »Zu zweit mit der lieben Alix im Waggon reisen, macht mir ein ungeheures Vergnügen.«
Und da er sein Tagebuch offen herumliegen ließ, schrieb Alice hinein, auch wenn sie die russischen Eintragungen noch nicht ganz verstehen und lesen konnte. Aber sie vermischte ihre Worte mit denen Nikis, sie schrieb seitenlange Liebeserklärungen hinein, Gebete zu Gott um Nikis Gesundheit und Glück, sie zitierte deutsche, englische und französische Schriftsteller, und es fiel auf, daß es meistens Zitate moralischen oder religiösen Inhalts waren.
An einem stillen, verträumten Abend in Walton on Thames nahm Nikolai die Gelegenheit wahr und legte vor Alice eine Beichte über sein – wie er glaubte – ›wildes Junggesellenleben‹ ab. Auch Matilda Felixowna erwähnte er – aber wohl nur am Rande, beiläufig. Bei aller Offenheit, die er sich Alice gegenüber vorgenommen hatte, erschien es ihm als Verrat, Matilda völlig der Vergessenheit auszuliefern.
Die Prinzessin hörte dem Zarewitsch mit leuchtenden Augen zu. Dann küßte sie Niki, und später schrieb sie in sein herumliegendes Tagebuch die Zeilen, die Nikolai als Zar später immer wieder durchlas und die ihm Kraft gaben in mancher harten Stunde:
»Ich liebe Sie noch mehr, seit Sie mir diese Geschichte erzählt haben. Es fehlen mir die Worte, um Ihnen meine Liebe und Bewunderung zu sagen. Was vergangen ist, ist vorbei. Wir alle sind Versuchungen ausgesetzt, wenn wir jung sind.«
Matilda tanzte unterdessen
Weitere Kostenlose Bücher