Es duftet nach Liebe (German Edition)
Mein Schritt stockt.
Steffen sitzt alleine auf der Bank vor dem Krankenhaus. Und natürlich hat er mich sofort entdeckt. Scheiße! Betont ruhig gehe ich auf ihn zu. Hat er mich doch erkannt? Oder will er sich für seinen Sohn entschuldigen? Oder mich zur Rede stellen, weil ich ihn angestarrt habe? Und wo ist seine Familie?
Meine Knie sind weich, mein Atem fliegt und Adrenalin pumpt heiß durch jede Ader. Ich rechne mit allem, als er sich erhebt.
„Du bist doch Marcel, oder? Erinnerst du dich noch an mich? Steffen, vom Reiterhof.“ Und wie ich mich erinnere. Jeder Nerv, jede Faser meines Körpers. Warum muss er noch viel besser als damals aussehen? Diese halblangen Haare stehen ihm so gut. Der Hauch von Bart lässt ihn herrlich verwegen erscheinen. Und dieser Duft …
Es fällt mir unendlich schwer, zu sprechen, überrascht zu tun.
„Oh? Das ist aber lange her?“
Steffen nickt und lächelt sein Sonnenscheinlächeln. Und seine Augen … leuchten. Nein, es ist viel zu dunkel dafür, aber ich weiß noch so genau, wie sie aussehen.
„Ganze sechs Jahre. Ich hatte gehört, du wärst nach Berlin gezogen?“
„Ja, ich habe meine Lehre dort gemacht.“ Wie führe ich mit ihm ein belangloses Gespräch? Nie, niemals hätte ich gedacht, ihn wiederzutreffen. Und ganz bestimmt nicht, dabei verrückt zu spielen und in meine alte Schwärmerei abzugleiten. Hallo? Ich bin ein erwachsener Mann, ich sollte mich besser im Griff haben.
Ich atme vorsichtig aus.
„Ich arbeite jetzt beim Autohaus und wohne in … Warlow.“ Viel zu viele Informationen.
„Oh? Gar nicht mal so weit weg. Aber ...“ Marcel streicht sich die Haare zurück und ich gewinne den Eindruck, dass er … unsicher ist. Zu viele Fragen, die nie beantwortet wurden. Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein. „Dorthin fährt doch jetzt kein Bus mehr.“
„Leider. Ich werde mir ein Taxi rufen müssen.“ Ich seufze und suche nach meinem Handy. Hoffentlich habe ich genug Geld dabei.
„Kann ich dich vielleicht mitnehmen? Ich fahre ohnehin in die Richtung. Vivien ist schon mit den Kindern heimgefahren.“ Steffen lächelt erneut, erinnert mich an unser übermütiges Herumalbern auf dem Heuwagen. Ich fühle mich zurückversetzt, weiß noch, wie wir uns mit losem Heu beworfen und zwischen den Ballen wahre Schlachten geführt haben. Er hat also auf mich gewartet? Merkwürdig. Was soll ich davon halten?
„Das wäre sehr nett.“ Klingt schrecklich lahm, aber etwas Geistreicheres fällt mir nicht ein. Natürlich wird er mich zur Rede stellen. Dessen bin ich mir ganz sicher. Ich bin so plötzlich vom Hof verschwunden, er wird sich gefragt haben, warum. Was soll ich nur sagen?
Wir gehen zu seinem Auto, das weitaus weniger nobel ausschaut, als ich es erwartet hätte. Wenn er viel fliegt, ist er doch bestimmt für irgendeine große Firma tätig. Würde ich zumindest vermuten.
„Was machst du beruflich?“ Eine schön unverfängliche Frage, während ich mich anschnalle. Im Auto riecht es schrecklich intensiv nach Pferd. Und ihm.
Steffen schaut mich überrascht an.
„Na, ich bin noch auf dem Hof. Was anderes käme für mich gar nicht infrage. Ich liebe die Pferde viel zu sehr.“ Verblüfft sehe ich ihn an. Wie passt das zusammen? Soll ich nachfragen? Nein, ich will besser kein Interesse zeigen. Ich habe viel zu viel Interesse an ihm in anderer Hinsicht. Er ist Familienvater. Punkt. Vielleicht hat die Kleine auch rumgesponnen.
„Was macht deine Schwester? Reitet sie noch?“ Er unterbricht das Schweigen. Seine langen Finger umschließen lässig das Lenkrad. Unter meiner Jeans, an haargenau der Stelle, wo sie auch schon einmal lagen, kribbelt meine Haut. Ich schwitze und unter den Achseln fühlt es sich feucht an, dabei ist es gar nicht mehr so warm.
Ich schüttle den Kopf.
„Nein, das ist vorbei. Sie ist nach Köln gezogen. Ihr Freund studiert dort und sie hat einen Job bei Aldi bekommen.“ Keine Traumkarriere, aber Carolin ist glücklich. Ich habe sie zweimal besucht.
Erneut breitet sich das Schweigen aus. Ich versuche nicht auf seine Finger zu sehen, meine Nase zu verschließen und vergangene Bilder zurückzudrängen. Nur noch einen Kilometer, dann sind wir da.
„Du ...“ Steffen leckt sich flüchtig über die Oberlippe, „... bist gar nicht mehr gekommen?“ Er zögert und ich spüre die Spannung in der Luft. Mein Rückgrat prickelt. Das Gewitter kündigt sich an. Nein, ich bin schon mitten drin und die Blitze schlagen in mich ein.
Steffen
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